Helikopter-Eltern? – Streit um einen Süßwarenautomaten
Hat ein Süßwarenautomat in der Nähe einer Grundschule nichts zu suchen? Mit dieser Frage beschäftigen sich Eltern und Stadtverwaltung im brandenburgischen Werder (Havel). Kinder könnten ihr Taschengeld unkontrolliert in Chips, Energiedrinks und Schokoriegel stecken. Das schadet der Gesundheit. Doch ist wirklich der Betreiber verantwortlich oder haben die Eltern einen Erziehungsauftrag? Einige lästern über die Helikopter-Eltern, andere zeigen Verständnis. Wäre das Problem mit der Entfernung des Automaten gelöst?
Das Wichtigste in Kürze:
- Ein Betreiber stellt unweit einer Grundschule einen Süßwarenautomaten auf
- Eltern wehren sich dagegen und wenden sich mit einer Petition an die Stadt
- Der Streit findet den Weg in die lokale Presse
- In den sozialen Netzwerken gibt es kontroverse Diskussionen
- Helikopter-Eltern oder Schutz der Kinder?
Süßwarenautomat löst Petition aus
Ein Betreiber stellt in einer Kleinstadt an einer Kreuzung einen Süßwarenautomaten auf. Im Angebot sind auch Chips und Energiedrinks. Etwa 50 Meter weiter befindet sich ein Wohngebiet und eine Grundschule. Einige Eltern protestieren gegen den Automaten: Die Kinder würden ihr gesamtes Taschengeld dort hinein stecken. Von einem Zuckerschock ist die Rede und von schlechten Zähnen. Die Petition einer Mutter richtet sich an die Bürgermeisterin: Sie beanstandet das Angebot des Automaten.
Das Thema spaltet die Elternschaft und die Generationen. Müssen Kinder heute nicht mehr zum maßvollen Umgang mit Süßwaren erzogen werden? Ist ein Automatenbetreiber dafür verantwortlich, dass Grundschüler Energiedrinks konsumieren? Der Begriff der Helikopter-Eltern macht die Runde. Waren Kinder früherer Generationen besser erzogen oder haben die Eltern mit ihrer Forderung nach der Angebotsänderung recht? Und was sind Helikopter-Eltern überhaupt?
Helikopter-Eltern: Gute Erziehung oder übertriebene Vorsicht?
Helikopter-Eltern oder Rasenmähereltern sind Begriffe, die mit der modernen Erziehung in einem engen Zusammenhang stehen. Gemeint sind Eltern, die wie ein Hubschrauber über ihrem Nachwuchs kreisen und sie nie aus den Augen lassen. Das Leben der Kleinen wird bewusst gesteuert. Rasenmähereltern stehen dafür, dass alle Probleme abgemäht werden, bevor die Kinder den Rasen betreten. Die Vorsicht erscheint vor allem der älteren Generation übertrieben zu sein: Die jungen Eltern werden gern belächelt.
Mittlerweile gibt es Studien, die sich mit der Erziehung der Helikopter-Eltern befassen. Interessant ist die Aussage, dass das „Konzept funktionieren kann.“ Zumindest dann, wenn der Focus auf die Bildung des Nachwuchses und der späteren beruflichen Karriere liegt. Helikopter-Eltern stellen Forderungen, nicht nur an die Kinder, sondern auch an die Gesellschaft. Glaubt man den Analysen in dem Artikel, profitiert der Nachwuchs im späteren Leben davon.
Die Welt von heute ist eine andere
Die Welt ist eine andere, als in der Generation der Eltern und Großeltern. Dies geht bei aller Kritik an den vermeintlichen Helikopter-Eltern schnell unter. Dennoch ist es auch heute noch wichtig, Kinder zu selbstständigen Menschen zu erziehen. Es fällt manchem schwer zu glauben, dass dies gelingt, wenn Kinder den Schulweg nicht mehr allein bewältigen, zum Sport und zu Freunden gefahren werden und wenn Eltern sie ohne Autorität, nach ihren Bedürfnissen erziehen.
Wer heute im mittleren oder fortgeschrittenen Lebensalter ist, kennt die Ohrfeigen und den Klaps auf den Po als Erziehungsmethode ebenso wie Stubenarrest oder das Verweilen in der Ecke bei Ungehorsam. Dass dies der Vergangenheit angehört, ist eine sehr gute Entwicklung, denn diese Formen von Gewalt und Autorität haben in der Erziehung nichts zu suchen.
Wenn Großeltern argumentieren, dass sie bei Wind und Wetter vier Kilometer zur Schule gelaufen sind, mitunter durch einen Wald, weil sie auf einem Dorf lebten, verkennen sie, dass sich die Welt verändert hat. Gefahren gab es immer, doch heute sind sie anders gelagert. Es gilt nicht ohne Grund als leichtsinnig, ein Kind kilometerweit durch eine einsame Gegend zur Schule laufen zu lassen.
Damals haben es Eltern nicht auf diese Weise gelöst, weil sie keine Lust hatten, ihr Kind zur Schule zu begleiten: Oftmals gab es gar keine andere Möglichkeit. Die meisten Familien hatten kein Auto, das Arbeitstag war hart, sowohl im Beruf als auch im Haushalt. Es gab viele Kinder, die sich selbst halfen und stärker auf sich allein gestellt waren, als dies heute der Fall ist. Auf der anderen Seite waren die Familienbande stärker: Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten lebten auf engerem Raum miteinander. Jeder half mit, bei der Betreuung der Kleinsten. Die Kinder mussten früher selbstständig werden.
War damals alles schlecht?
Viele der Jungen und Mädchen von damals haben schöne Erinnerungen an ihre Kindheit. Sie haben ihre Eltern geachtet und sind dankbar für die Aufopferung von Mutter und Vater. Dieses Phänomen ist vor allem in Familien mit geringem Einkommen zu beobachten. Es ist nicht so, dass Generationen von Kindern unter der körperlichen Züchtigung lebenslang gelitten hätten. Diese Erziehungsmethoden fanden nicht in jedem Haushalt gleichermaßen Anwendung. Es gibt Kinder, die mit den Folgen zu kämpfen hatten. Aber auf die Generationen lässt sich das nicht abbilden.
Es ist nicht gut, die Erziehung von damals ausschließlich infrage zu stellen. Die meisten Eltern machen es so gut, wie sie es eben können und wie es die eigenen Lebensumstände zulassen. Das gilt heute genauso: Helikopter-Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Ob es das Beste war, zeigt sich erst im späteren Lebenslauf. Und nicht immer sind Eltern an allem Schuld. Es gibt auch andere prägende Einflüsse.
Der Streit um den Süßwarenautomaten wirft Fragen auf: Haben Eltern noch einen Erziehungsauftrag oder müssen Kinder vor allen möglichen Gefahren und Problemen geschützt werden? Wer ist verantwortlich, wenn ein Kind im Alter zwischen sechs und zehn Jahren mit Schokoriegeln und Energiedrinks aus einem Süßwarenautomaten gut gehen lässt?
Der konsequente Weg kann richtig sein – oder auch nicht
Wer in der Erziehung einen konsequenten Weg geht, kann damit Erfolg oder Probleme haben. Generationen von Schülern sind einsame kilometerweite Schulwege gelaufen, ohne dass ihnen jemals etwas passiert ist. Doch es mag auch damals den einen Vorfall gegeben haben, an dem ein Kind durch andere Menschen in Gefahr gebracht wurde.
Fahren Eltern ihre Kinder zur Schule, geht dies geht zu Lasten der Selbstständigkeit. Es löst Debatten aus über den Umweltschutz, bei den Anwohnern, die täglich zweimal den Stau der Elterntaxis vor ihrer Haustür haben, und auch bei Lehrern, die es nicht zielführend finden, die Eltern vor Unterrichtsbeginn mit deutlichen Worten aus dem Klassenzimmer entfernen zu müssen.
Generationen von Kindern haben Süßigkeiten gegessen, ohne davon Zahnschmerzen, Übergewicht oder gar einen Zuckerschock zu bekommen. Sicher haben Eltern, die ihre Unterschrift unter die Petition setzen, selbst ihr Taschengeld für Schokolade und Kaugummis ausgegeben. Energiedrinks gab es nicht, dafür waren rote Brause, Fanta oder Cola Objekte der Begierde.
Die älteren Generationen wissen: Verbote wollen auch mal übertreten werden. Dies stellt die Helikoptererziehung infrage, denn sie besteht aus zahlreichen Verboten. Nein, du gehst nicht allein zur Schule. Nein, du kaufst dir keine Süßigkeiten. Fast Food gibt es nicht und Cola kommt nicht ins Haus. Aus ernährungstechnischer Sicht gibt es nichts zu beanstanden. Doch damals wie heute wecken Verbote Begehrlichkeiten erst recht. Es gilt, den goldenen Mittelweg zu finden. Doch wie könnte der im Automatenstreit aussehen?
Eltern gegen Süßwarenautomat – die Fakten
In der Kleinstadt Werder (Havel) in Brandenburg stellt ein Betreiber einen Süßwarenautomaten auf. Dieser steht an einer Straßenkreuzung, eine der Straßen führt zu einer Grundschule. Es gibt im Umkreis Einfamilienhäuser, ein Wohngebiet und ein Oberstufenzentrum. Der nächste Supermarkt ist etwa einen Kilometer entfernt.
Bis vor einigen Monaten stand unweit von dem Süßwarenautomaten ein Kiosk. 30 Jahre wurde er von einem Ehepaar betrieben, das sich in den Ruhestand verabschiedete, als der Kiosk von einem Unfallfahrer zerstört wurde. In dem Kiosk gab es Zeitungen, Tabakwaren und Süßwaren; darunter Zuckerstangen, wofür die Grundschüler ihr Taschengeld nur allzugern ausgaben.
Zu Beginn der 1990er-Jahre gab es zusätzlich einen alten DDR-Supermarkt und später einen Schlecker. Beides wurde geschlossen. Nachdem der Kiosk nicht mehr da war, sollte der Süßwarenautomat das fehlende Angebot an kleinen Snacks, Getränken und Süßigkeiten ersetzen.
Petition an die Bürgermeisterin
Die Petition einer Mutter richtet sich an die Bürgermeisterin der Stadt. Die Forderung: Der Automat solle keine zuckerhaltigen Lebensmittel und Energiedrinks enthalten. Kinder könnten nicht widerstehen. Übergewicht würde gefördert. Außerdem könnte niemand kontrollieren, was die Kinder kaufen. Das wäre im Supermarkt anders.
Die Stadt verweist auf die Gewerbefreiheit. Der Automat stehe auf einem privaten Grundstück, er wäre angemeldet, es gäbe nichts zu beanstanden. Ein Verbot des Automaten oder die Vorschrift, das Angebot anzupassen, wären nicht möglich.
Der Schulleiter der Grundschule gibt auf Nachfrage der lokalen Zeitung ein Statement ab: Auf dem Schulgelände wäre der Konsum von Energiedrinks verboten. Die Kinder beschäftigen sich im Unterricht mit gesunder Ernährung. So könnte die Versuchung abgemildert werden.
Der Betreiber des Automaten beklagt die Hetze in den sozialen Netzwerken und betont, dass sich sein Konzept gar nicht an die Grundschüler richte: Es wohnen in der Umgebung erwachsene Menschen, die das Angebot gern wahrnehmen.
Viele sagen mir, dass sie den Automaten super finden. Früher gab es einen kleinen Kiosk auf der anderen Straßenseite, da sind die Kinder da hingegangen
Henri Schultze, Betreiber eines Süßwarenautomaten in Werder (Havel)
Tatsächlich gibt es auf Facebook zahlreiche Kommentare, die Unterstützung für die Petition ausdrücken. Doch es gibt auch jene, die sich über die Helikoptereltern amüsieren und der Meinung sind, es wäre eine Frage der Erziehung, wofür Kinder ihr Taschengeld ausgeben.
Hat das Verkaufspersonal einen Erziehungsauftrag?
Die Stadt verweist in ihrem erweiterten Statement höflich auf die Tatsache, dass es zehn Lebensmittelläden gäbe und die Kinder überall Verführungen ausgesetzt seien. Hier wären die Eltern in der Pflicht.
Das Betreiberehepaar des Kiosk, der vorher unweit der Grundschule stand, nahm keinen Erziehungsauftrag wahr: Es verkaufte die Süßwaren an die Kinder und prüfte bei Getränken und Tabakwaren den Jugendschutz, wie es Vorschrift ist. Niemand der Eltern, deren Kinder in den letzten 30 Jahren in die Grundschule gingen, wäre auf die Idee gekommen, den Kiosk verbieten zu lassen.
Müssen Verkäufer und Verkäuferinnen darauf achten, dass Kinder nicht zu viele Süßigkeiten essen? Mit Sicherheit nicht. Und das ist auch gar nicht möglich: Wer soll kontrollieren, dass Kinder nicht fünf Supermärkte hintereinander aufsuchen und sich mit ungesunden Dingen eindecken?
Helikopter-Eltern in Aktion?
Sind in der brandenburgischen Kleinstadt Helikoptereltern in Aktion oder haben die Mutter, die die Petition startete, und ihre knapp 200 Unterstützer recht? Die Meinungen gehen auseinander, und das zu Recht. Es stellt sich die Frage, wie Kinder gut ins Leben gehen sollen, wenn sie im Elternhaus nicht lernen, dass Süßigkeiten nicht zum täglichen Konsum bestimmt sind.
Die Mutter regt an, das Sortiment auszutauschen: Müsli, gesunde Wraps und Wasser statt Chips und Schokolade. Doch möchten es sich die erwachsenen Anwohner, an die sich das Konzept vorrangig richtet, am Abend mit Müsli, Wasser und Wraps gemütlich machen oder doch lieber mit einer Tüte Chili-Chips?
Der Zuckerschock ist übertrieben
Maßlose Übertreibungen, dass Kinder übergewichtig würden, schlechte Zähne bekämen oder gar einen Zuckerschock erleiden könnten, sprechen für den Teil der Elternschaft, die als Helikopter kritisiert werden. Die Kinder der heutigen Grundschulgeneration sind permanenten Verführungen ausgesetzt: Sie müssen lernen, damit umzugehen, anders funktioniert Erziehung gar nicht. Wenn zwischen Verbot und Toleranz das richtige Maß gefunden wird und die Kinder aufgeklärt sind, sollte der kleine Automat unweit der Schule in einer Welt, in der rund um die Uhr an jeder Ecke Verführungen locken, das geringste Problem sein.
Der Automat steht nicht neben der Schule
Eine weitere Übertreibung beschreibt den Standort des Automaten: Er wäre neben der Schule aufgebaut, was nicht stimmt. Er steht in einem Vorgarten an einer Straßenkreuzung, die viele Kinder passieren müssen. Weil sie nach Hause oder zur Bushaltestelle laufen. Eltern, die ihre Kinder jeden Tag abholen, umgehen das Problem geschickt. Und während des Unterrichts dürfen die Schüler das Schulgelände nicht verlassen.
Die Presse hat die Formulierung mit dem Automaten neben der Schule übernommen, die Befürworter in den sozialen Netzwerken sowieso. Es ist eine Übertreibung und entspricht nicht der Wahrheit. Sind derartige Überspitzungen notwendig, um die eigene Meinung durchzusetzen? Oder sind sie typisch, für die Helikopter-Erziehung?
Eine Generationenfrage
Die Großelterngeneration hat eine ganz eigene Meinung: Erzieht Eure Kinder, anstatt den Rasenmäher anzustellen und alles aus dem Weg zu räumen, was Probleme bereiten könnte. Müssen Grundschüler so viel Taschengeld haben, dass sie den halben Automaten leerkaufen können? Wenn das Taschengeld für den Kuchenbasar oder das Schnitzelbrötchen mitgegeben wird, steht die Frage nach der gesunden Ernährung ebenso im Raum wie beim Schokoriegel. Die Argumente sind nicht von der Hand zu weisen. Zumindest wären sie eine Diskussion wert.
Erziehung bleibt Elternsache
Damals wie heute ist Erziehung eine große Aufgabe. Die Mutter brachte nicht nur die Petition auf den Weg: Sie wandte sich auch an die lokale Tageszeitung und ließ sich für den Artikel vor dem Automaten ablichten. Vielleicht wäre es gut gewesen, die Zeit mit dem Kind zu verbringen und ihm zu erklären, warum es nicht sein ganzes Taschengeld in diesen Automaten stecken sollte.
Auch wenn die Helikopter-Erziehung Erfolge verbucht: In Werder (Havel) sind die Eltern in der Pflicht. Der Süßwarenautomat bleibt stehen, solange sich der Betreiber nicht unentscheidet. Er hat die Energiedrinks aus dem Angebot genommen. Die Stadt hat keine Handhabe, die Schule hält sich bedeckt. Erziehung bleibt in diesem Streitfall Elternsache.