Luxuswohnungen – wunderschön an der Havel gelegen
Die Vorstellung von Luxuswohnungen, die wunderschön an der Havel gelegen sind, ist so vielfältig wie wir Menschen. So könnte die Wohnung einen großen Balkon haben, idealerweise im obersten Stock, mit Blick auf das Wasser. Enten und Lietzen schnattern, im Herbst versammeln sich die Wildgänse laut kreischend auf den Wiesen, die an die Havel grenzen. Der Mieter oder Eigentümer lebt inmitten der Idylle, geht ein paar Schritte zum naturbelassenen Ufer und genießt die Ruhe der Natur. Es wäre ein Ideal. Es kann abweichen, von der Realität. Und manchmal tut es das auch.
Wenn Luxus für Unmut sorgt
Luxuswohnungen haben nicht nur eine tolle Lage und eine hochwertige Ausstattung: Sie werden in der Regel zu hohen Preisen vermietet oder verkauft. Und das kommt nicht bei allen Menschen gut an. Neid wird gern unterstellt, wenn jemand die teuren Bauten kritisiert. Doch blicken wir einmal tiefer in ein Bauprojekt mit dem verheißungsvollen Versprechen, eine Luxuswohnung an der Havel zu sein. In Werder (Havel) sorgt ein solches Projekt für Unmut. Aus verschiedenen Gründen.
Die besondere Lage bei einem Spaziergang erkunden
Bei einem Spaziergang gelingt der beste Eindruck von der Umgebung, die in Zukunft das luxuriöse Zuhause werden könnte. Wenn die entsprechenden Mittel vorhanden sind. Einige hundert Meter von den Wohnungen an der Havel entfernt liegt der Bahnhof. Ein positiver Aspekt, er bietet eine gute Anbindung an die Hauptstadt Berlin. Das Auto findet im kostenlosen Parkhaus seinen Platz. Hier beginnen wir unseren Spaziergang mit dem Ziel, uns ein Bild von den Luxuswohnungen zu verschaffen.
Eine Schranke stoppt den Autoverkehr
Die erste Euphorie über die Nähe zum Bahnhof weicht recht schnell. Der Verkehr staut sich entlang der Straße, die zum Parkhaus führt. Der Weg führt zur Kreuzung. Auf der rechten Seite eine geschlossene Bahnschranke, sie hat lange Warteschlangen zur Folge. Der Stau in der Nebenstraße, aus der wir kommen, war ein Teil davon. Fußgänger haben Glück: Sie können direkt bis zur rot-weißen Barriere laufen. Autofahrer, Busse, Lieferwagen: Alle müssen sich in die endlos anmutende Schlange einreihen.
Durch das Gewerbegebiet zum Stichkanal
Die Schranke gibt den Weg nach langen 14 Minuten frei. Ein Regio, ein Güterzug und ein ICE hatten Vorfahrt. Der Güterzug nahm sie nur sehr zögernd in Anspruch und ruckelte träge über die Schienen.
Der Bereich für Fußgänger und Radfahrer ist eng, von beiden Seiten drängen sich die Menschen mit und ohne Rad über die Gleise. Wir laufen im Strom mit. Lautes Gebimmel lässt uns zusammenzucken. Die Ampel neben uns springt auf Rot. Die Schranke schließt sich wieder. Fußgänger und Radfahrer konnten passieren. Die Autoschlange löst sich nicht auf. Wir sind auf der anderen Seite angekommen und nehmen Kurs auf die Baustelle mit den beworbenen Luxuswohnungen an der Havel.
Tankstelle, Rewe und eine Spielhalle
Wir laufen durch ein kleines Gewerbegebiet. Norma, Rewe, der Duft von Dönerfleisch, ein Kik und eine Spielhalle. Daneben befindet sich die Tankstelle. Gegenüber steht ein Kran. Wir sind angekommen, an der Baustelle. Nun kommt ist die individuelle Wahrnehmung gefragt: Jeder definiert Luxus anders.
Hier sieht er so aus: In Sichtweite befindet sich das Rewe-Logo, die Ausfahrt der Tankstelle ist gerade verstopft. Die Preise sind günstig, viele Autofahrer tanken, an diesem Nachmittag. Über die Straße schiebt sich ein Bus zur Havel-Therme, diese liegt sich ein paar hundert Meter weiter an der gleichen Straße und hat eine eigene Bushaltestelle. Zwei Autos mit Anhängern, die voll beladen sind, nehmen Kurs auf den Wertstoffhof. Ein Busdepot gibt es dort und zwei Fabriken. Die Stadt und das Gewebegebiet enden an der Autobahnauffahrt. Die Straße führt weiter nach Phöben. Wir hören einen Güterzug vorbeifahren. Die Waggons sind leer, dann rumpeln die Züge besonders laut. Es ist wuselig, um uns herum. Laut. Ist Luxus nicht leise und idyllisch?
Auf der Suche nach der Havel
Die Werbung verspricht Luxuswohnungen an der Havel. Wir sehen nur einen Stichkanal, der große Steganlagen beherbergt. An dessen Ende ist eine Marina mit einem Kran und einem Bootshaus für die Aufbereitung und Reparatur der Jachten. Die Stege sind gut belegt. So fällt der Blick von Dachterrasse oder Balkon der Luxuswohnung weniger auf die Havel als auf – und das muss man neidlos anerkennen – ausgesprochen beeindruckende Pötte, wie wir in Berlin sagen.
Zum An- und Ablegen gibt es an den größeren Motorjachten Seitenstrahlruder. Mit diesen lässt sich das Boot vom Steg wegdrücken oder näher heranholen. Sie sind für die tonnenschweren Schiffe unverzichtbar. Und sie erfreuen die Ohren, denn sie verbreiten ein sehr spezifisches Geräusch, das durchaus als laut und unangenehm bezeichnet werden darf. Würde der Mieter oder Eigentümer das gern hören, wenn er auf dem Balkon meiner Luxuswohnung in einen Schmöker vertieft ist? Aber wir hatten ja die Havel gesucht. Von unserem Standort aus sehen wir sie nicht.
Ein halber Kilometer Stichkanal
Wir laufen die Promenade nach rechts, auf der linken Seite ist sie an der Marina zu Ende. Es gibt dort bereits Luxuswohnungen an der Havel; die sich derzeit im Bau befindenden Wohnungen schließen die letzte grüne Lücke. Es mutet vornehm an. Ein bisschen edel. Aber auch zugebaut. Wir laufen an einem Steakhaus vorbei, an einer Pizzeria, an einem Zahnarzt und an leeren Geschäften. Links liegen die Boote. Ein paar hundert Meter Weg sind es, bis zum Ende der Promenade.
Auf der rechten Seite befindet sich die Havel-Therme. Wir laufen noch einmal etwa 200 Meter bis zum Ende des Weges. Dort gibt es ein kleines Rondell mit Sitzgelegenheiten und einem Ausblick auf den Großen Zernsee.
Wir haben die Havel gefunden und drehen uns um. Die Baustelle ist nicht mehr zu sehen. Genau genommen sind die Luxuswohnungen nicht wunderschön an der Havel, sondern an einem Stichkanal gelegen. Dieser führt vom Großen Zernsee weg und ist künstlich angelegt. Die Havel gibt es hier nur auf den zweiten Blick: Sie fließt durch den Großen Zernsee.
Kritiker sind nur neidisch
Viel Kritik findet sich in den Diskussionen um das Projekt. Schnell kommt die Behauptung auf, dass die Kritiker neidisch wären, weil sie sich die Wohnungen nicht leisten können. Und damit kommen wir zum Unmut, den dieses Projekt in der Stadt auslöst.
Die Schranke wird durch die Ansiedlung noch stärker frequentiert
Das Bauprojekt ist zum Ende des Jahres 2022 gestartet. In den unteren Etagen werden Gewerbe und ein Ärztehaus angesiedelt. Die Schranke verschwindet erst zehn Jahre später. Unmutstifter Nummer Eins: Warum fördert die Stadt weitere Neubauten, obwohl das Nadelöhr jetzt schon täglich zu einer Geduldsprobe wird?
Es gibt in Werder (Havel) kaum noch bezahlbare Wohnungen
Luxuswohnungen zeichnen sich nicht nur durch ihre schöne Lage, sondern auch durch einen hohen Preis aus. Die bereits fertiggestellten Wohnungen wurden als Eigentum angeboten. Drei Zimmer für eine mittlere sechsstellige Summe. Unmutstifter Nummer Zwei: Wo wohnen junge Menschen und solche, die sich Luxus von ihrem Einkommen nicht leisten können? Die Preise für Wohneigentum sind in den letzten Jahren förmlich explodiert. Günstig wohnt man in Werder (Havel) in der Platte. Es gibt geförderten Wohnraum, doch der ist rar. Es hätte der Stadt besser zu Gesicht gestanden, geförderten Wohnraum zu bauen, statt neuer Luxuswohnungen.
Wo bleibt das Grün?
Mit dem Bau genannter Wohnungen verschwindet die letzte Grünfläche am Stichkanal. Er ist künftig von Anfang bis Ende zubetoniert. Die Optik gefällt nicht jedem. Unmutstifter Nummer Drei: Warum verschwindet in der selbsternannten Blütenstadt eine Grünfläche nach der anderen zugunsten von Häusern, Wohnungen oder Gewerbebauten? Der Vollständigkeit halber sollte Erwähnung finden, dass Werder (Havel) ein staatlich anerkannter Erholungsort ist.
Luxus zwischen Tanke, Schranke und Dönerladen
Wer auf dem Areal spazieren geht, nimmt Folgendes wahr: Luxus vermischt sich mit dem Warten an der Schranke und der Nachbarschaft von Spielhalle, Marina, Rewe, Wertstoffhof und Dönerladen. Die Züge befinden sich in Hörweite. Es gibt noch die Autobahn: Wenn es abends ruhig wird und der Wind ungünstig steht, rauscht es. Mitunter legt sich der Duft von Trester über den Balkon. Er kommt von einer Fabrik, die Pektin herstellt. Die Fabrik ist etwa einen Kilometer von der Baustelle entfernt, ebenso die Autobahn.
Naturkinder, die romantische Vorstellungen von der Luxuswohnung an der Havel haben, kommen hier nicht auf ihre Kosten. Wasser gibt es, mit dem Stichkanal, der in den Großen Zernsee mündet. Ein natürliches Ufer gibt es nicht. Grün, das Kreischen der Lietzen, Schwäne oder gar ein Sonnenuntergang? Das alles gibt es nicht. Eine Luxuswohnung an der Havel wäre schon ein Traum. Den so mancher auf diesem Areal aber nicht träumen kann.
Luxus um jeden Preis? – Ein Fazit
Die Luxuswohnungen, wunderschön an der Havel gelegen, halten nur bedingt, was sie versprechen. Es kommt eben doch auf die individuellen Vorstellungen des Einzelnen an. Wer aus der lauten Großstadt kommt und bisher an einer vierspurigen Straße mit Ampelkreuzung wohnte, empfindet das sicher anders. Vielleicht ist es einigen Menschen wichtig, zu Fuß zum Dönermann, zum Black Jack oder zum Rewe gehen zu können. Die Erfahrung, die wir aus dem Spaziergang mitnehmen, ist folgende: Vertrauen Sie nicht den Prospekten, sondern schauen Sie sich die Umgebung an, in der Sie künftig wohnen werden. Ob Luxus oder nicht: Lassen Sie das, was Sie sehen und hören, auf sich wirken. Damit Sie hinterher nicht enttäuscht sind.
Bildquellen © JM