Sprachliche Diskriminierung? Otto Waalkes, Süßigkeiten & Co
Otto Waalkes feiert seinen 75. Geburtstag. Der WDR ehrt ihn mit der Ausstrahlung alter Sketche und versieht diese mit einem Diskriminierungshinweis. In den Regalen der Supermärkte werden Grillsaucen, Süßigkeiten und Pizzaspezialitäten umbenannt. Kinderbücher bekommen andere Titel und Straßennamen werden geändert. Handelt es sich wirklich um sprachliche Diskriminierung oder leidet die Gesellschaft unter einer gewissen Überempfindlichkeit?
Das Wichtigste in Kürze:
- Otto-Witze aus den 1970er-Jahren werden vom WDR mit einer Warnung versehen
- Pizza, Grillsaucen und Süßigkeiten bekommen einen neuen Namen
- Straßennamen werden umbenannt
- Definitionen für diskriminierende Sprache weiten sich aus
- Bitte nicht die Sprache neu erfinden!
Otto Waalkes: Wenn ein Komiker diskriminiert
Otto Waalkes riss in den 1970er-Jahren Witze, die heute als diskriminierend empfunden werden. Der WDR blendet eine Warnung ein und stößt damit vor allem bei der älteren Generation auf herbe Kritik. Die Jüngeren sind gespalten. Einige begrüßen den Warnhinweise, andere empfinden ihn als überflüssig. Und dann gibt es noch jene, die gar nicht wissen, worum es geht.
Wer mit Otto Waalkes aufgewachsen ist, der bemerkt deutlich, dass sich die Sprache in den letzten zehn Jahren gravierend geändert hat. Nun ist Sprachwandel ein ganz normaler Prozess. Doch nun bekommen 50 Jahre alte Witze von Otto Waalkes plötzlich rassistische Züge. Was ist nur los, in Deutschland?
Ost und West lachen geneinsam
In den 1970er-Jahren lachte Ost und West gemeinsam über Otto Waalkes. Mit wenigen Ausnahmen im sogenannten „Tal der Ahnungslosen“, irgendwo zwischen Dresden und Zittau, konnte der DDR-Bürger Westfernsehen empfangen. Otto Waalkes war dort ausgesprochen beliebt. Unter dem Ladentisch gab es einige Platten zu kaufen. Er war vom Regime für unkritisch befunden worden, der Bürger durfte offiziell über seine Witze schmunzeln und auch die Menschen im „Tal der Ahnungslosen“ hatten über die Platten und DDR-Fernsehsendungen Zugang zu ihm.
Mit fortschreitendem Lebensalter hängt der Mensch den Dingen des Lebens, die schon immer dazugehörten. Er ist wie ein alter Baum mit seinen Gewohnheiten verwurzelt und möchte nicht verpflanzt werden. Vielleicht ist das eine Erklärung dafür, dass die Diskussion um die Komik des Ostfriesen auch eine Generationenfrage ist: Es sind eher die Jüngeren, die sich der Kritik anschließen, während Menschen im mittleren und höheren Lebensalter den Kopf schütteln.
Otto Waalkes reißt diskriminierende Witze
Otto Waalkes. Dieter Hallervorden. Heinz Erhard. Die Comedian des vergangenen Jahrtausends. Eine Generation hat über die Witze herzlich gelacht. Nun wird vor Otto Waalkes gewarnt. Wann ist die Gesellschaft so sensibel geworden, dass sie hinter allem und jedem eine Diskriminierung vermutet? Warum war das „früher“ anders? Warum konnten die Menschen befreit lachen, ohne sich zu fragen, ob sich irgendwer benachteiligt oder angegriffen fühlt?
Ab unter die Gürtellinie
Ottos Witze gehen ab und zu unter die Gürtellinie. Doch das war in den 1970er-Jahren nunmal so. Toni Marshall sang in der Hitparade, dass er in dem Wald seiner Angebeteten der Oberförster sein wolle. Roland Kaiser bat seine Amore mio, sich auszuziehen, und wollte später mit der Nachbarin ein Schäferstündchen erleben, obwohl diese liiert war. Gewarnt hat niemand, vor diesen Songs. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht.
Worum geht es eigentlich?
Otto Waalkes feierte kürzlich seinen 75. Geburtstag. Der WDR wollte den Komiker mit einigen seiner besten Shows ehren. Sie wurden in den 1970er-Jahren aufgezeichnet. Bevor es losging, erschien eine Warnung auf dem Bildschirm: Die Inhalte könnten diskriminierend sein. Dabei hat der WDR nicht erklärt, um welche Passagen es bei der Otto-Waalkes-Warnung geht. Eine pauschale Verurteilung?
Schnell kristallisierte sich ein Dialog aus dem ersten Otto-Film mit Günther Kaufmann heraus. Dass sich Otto in dieser Szene mit seinen ungewaschenen Füßen selbst aufs Korn nimmt, ist wohl niemandem aufgefallen. Es gibt zahlreiche Sketche, die heute so gar nicht mehr gedreht werden würden. Was vielleicht in Ordnung geht. Nur sollte man diese und jegliche andere Art der Unterhaltung doch bitte in ihre Entstehungszeit einordnen. Dann wären Warnhinweise obsolet.
Die Welt von Sissi
Die große Liebe zwischen Sissi und Kaiser Franz Joseph, die in der Realität recht einseitig war, kann der interessierte Fernsehzuschauer zu Weihnachten anschauen. Ohne Warnhinweise. Damals, in der Mitte der 1950er-Jahre, liefen die Menschen in Scharen ins Kino. Heute werden solche Filme gar nicht mehr gedreht. Stattdessen sind Horrorfilme regelmäßig im Kinoprogramm vertreten. Oder Kriegsfilme, die sich in der Nachkriegszeit niemand angeschaut hätte. Heile Welt war gewünscht, nach der traumatisierenden Zeit, die die Menschen durchleben mussten.
Die Welt der 1970er-Jahre war eine andere. Wenn der Zuschauer das berücksichtigt, funktionieren die Zeichen der damaligen Zeit wunderbar ohne Einblendungen. Doch heute möchte jeder jedem gerecht werden. Es ist in einer Hypersensibilität ausgeartet.
Sollten Sissi-Filme künftig mit einem Warnhinweis versehen werden, weil sich frisch Getrennte in Depressionen flüchten, wegen der ach so rührigen Liebesgeschichte? Weil sich Frauen getriggert fühlen, die eine böse Schwiegermama haben? Oder weil ihnen ihre Schwester den Mann vor der Nase weggeschnappt hat?
Die eigene Lesart
Die Vielfalt des Unterhaltungsprogramms ist so groß, dass ein Leben nicht ausreicht, um alles anzuschauen. Niemand muss etwas konsumieren, von dem er sich in irgendeiner Weise diskriminiert fühlt. Etwas, das ihm nicht gut tut. Jedes Buch hat eine eigene Lesart. Dies sollte für Otto Waalkes ebenso gelten wie für Sissi und den Wald, in dem Toni Marshall gern der Oberförster sein wollte.
Was sagt Otto Waalkes? Er stellt sich die berechtigte Frage, ob wir keine anderen Probleme hätten, als uns über Witze aufzuregen, die er als Student geschrieben hätte, In einer Zeit, die noch eine andere war.
Paprikasauce, Pizza Ananas und der Schaumkuss
Die Witze von Otto Waalkes sind nicht der einzige Stein, an dem sich Aktivisten und andere Befürworter dieser Art des Sprachwandels stoßen. Im Bereich der Ernährung gibt es nicht nur den Vorstoß, auf tierische Nahrungsmittel zu verzichten: In einem Pilotprojekt hat Rewe in Berlin einen veganen Supermarkt eingerichtet. Seit einiger Zeit sollen bewährte Namen für einige Lebensmittel nicht mehr verwendet werden. Die Nahrungsmittelindustrie beugt sich. Drei Beispiele:
Pizza Ananas
Die Pizzaspezialität ist unter dem Namen Pizza Hawaii bekannt und beliebt. Der Vorstoß zur Umbenennung ist auf Schweizer Aktivisten zurückzuführen: Die Ananas ist ein Frucht, die von der Insel Hawaii stammt und in der Zeit der Kolonialisierung dort angebaut wurde. Die Einheimischen wurden von den Kolonisten ausgebeutet. Aus diesem Grund solle der namentliche Bezug zu der Insel im Pazifik nicht mehr hergestellt werden.
Es gibt nach wie vor zahlreiche Pizzerien und Hersteller von Tiefkühlpizzen, die sich an den Vorschlag nicht halten und die Spezialität weiterhin als Pizza Hawaii verkaufen. Hier hat sich der Vorstoß der Aktivisten nicht durchgesetzt. Bei anderen Lebensmitteln schon.
Paprikasauce
Die beliebte Grillsauce ist seit Jahrzehnten unter dem Namen Zigeunersauce bekannt. Seit 2020 heißt sie Paprikasauce oder Paprikasauce ungarischer Art. Knorr benannte seine Grillsaucen als erstes um, andere Hersteller folgten. Als Grund wurden die. Rassismusdebatten genannt.
Eine weitere Erklärung für die Umbenennung ist der Ursprung dieser Sauce. Es ist nicht abschließend geklärt, dass die Sauce aus der Küche der Sinthi und Roma stammt. Dass die Volksgruppen in Ostmitteleuropa lebten und vor allem die Roma lange in Ungarn ansässig sind und waren, ist unbestritten.
Während die großen Lebensmittelhersteller mittlerweile keine Zigeunersauce mehr anbieten, ist das Zigeunerschnitzel noch auf den Speisenkarten kleinerer Restaurants in Ostdeutschland zu finden. Es war in der DDR ein beliebtes Gericht und wurde definitiv nicht mit rassistischen Gedanken assoziiert.
Schaumkuss
Beim Schaumkuss ist die Debatte sehr negativ behaftet. Etymologisch leitet sich der Begriff von dem lateinischen Adjektiv für schwarz oder dunkel ab: niger, nigra, nigrum. Als rassistisch ist der Begriff eingestuft, weil er mit der Versklavung assoziiert wird. Es ist selbstredend, dass niemand sein Gegenüber so bezeichnen sollte.
Nicht jeder kann sich mit der Bezeichnung anfreunden. Eher sind es Dickmänner, abgeleitet von dem Markennamen, den die Firma Storck der Süßigkeit im Jahre 1981 gab. Bereits zu diesem Zeitpunkt standen Negerkuss und Mohrenkopf in der Kritik, obwohl die Kinder dieser Generation die Süßigkeit nicht mit dem Rassismus identifizierten.
Übrigens: Schokokuss darf nur verwendet werden, wenn es sich tatsächlich um einen Schokoladenüberzug handelt. Da dieser meistens aus einer Fettglasur hergestellt wird, hat sich der Begriff Schaumkuss etabliert. Ein Begriff, den nicht jeder mag.
Bitte nicht die Sprache neu erfinden!
Grundsätzlich ist nichts gegen einen sensiblen Sprachgebrauch einzuwenden. Doch gerade für die ältere Generation sind einige Debatten nicht so leicht nachzuvollziehen: Die Großmütter von heute haben mit der Negerpuppe gespielt, die Geschichte der sieben Negerlein verschlungen, die süßen Mohrenköpfe geliebt und dabei nicht eine Sekunde rassistisches Gedankengut gepflegt.
Wer in der DDR aufgewachsen ist, musste das Buch „Mohr und die Raben von London“ lesen. Es war Pflichtlektüre in der Schule. Der Mohr ist kein Afrikaner, sondern es ist eine Geschichte über Karl Marx. Er wurde wegen seines dichten dunklen Haares als Mohr bezeichnet.
Bleiben wir beim Mohr, fällt uns die Mohrenstraße in Berlin ein, die umbenannt werden soll. Nun stellt sich die Frage, wie weit Aktivisten und Kritiker bei der Abschaffung der sprachlichen Diskriminierung gehen möchten? Werden eines Tages alle Menschen, die ein Mohr im Namen oder in der etymologischen Bedeutung tragen, mit dem Gebot der Umbenennung konfrontiert werden? Dies beträfe auch den beliebten Vornamen Moritz. Den Dunkelhäutigen, der aus Mauretanien kam.
Die Begriffe werden auch von Betroffenen benutzt
Die Diskussionen selbsternannter Weltverbesserer, die sich in den sozialen Netzwerken gern im Ton vergreifen, lassen wir bei diesem sensiblen Thema einmal außen vor. Im Jahre 2017 diskutierte der Philosoph Wolfram Eilenberger mit dem Literatur-Redakteur René Aguigah über die Grenze des Sagbaren. Das ist jetzt sieben Jahre her und es ist festzustellen, dass die Welt damals noch offener war.
Unterdrückte Gruppen nehmen die sie diskriminierenden Begriffe selbst auf.
Deutschlandfunk Kultur: Wo liegt die Grenze des Sagbaren? Abgerufen am 15. September 2023
Es ist richtig und wichtig, in der Sprache sensibel zu sein und andere Menschen nicht zu verletzen: Nicht bewusst und nicht unbewusst. Aber wir müssen die Sprache nicht neu erfinden, wenn Aktivisten ein größeres Problem mit den Bezeichnungen haben als die Betroffenen selbst.
Sensibel bleiben ohne Übertreibung
Wie geht es weiter, mit Begrifflichkeiten, die direkt oder indirekt der sprachlichen Diskriminierung zugeordnet werden könnten? Eine indische Foodbloggerin bezeichnet das Gewürz „Curry“ als rassistisch, weil es von Europäern geprägt wurde – die sie als Weiße bezeichnet – und weil es die Vielfalt der indischen Küche nicht widerspiegelt.
Schwarzfahren ist ebenfalls ein Begriff, der mittlerweile ein geteiltes Echo auslöst. Es wird mit Kriminalität assoziiert und soll künftig durch den Begriff Beförderungserschleichung ersetzt werden. Der Begriff des Fahrens ohne gültigen Führerschein bleibt ebenfalls erlaubt. Und es bleibt ein Akt der Kriminalität, denn wer keinen Fahrschein besitzt, prellt faktisch die Zeche des Verkehrsunternehmens.
Geht etwas leicht von der Hand, darf es nicht mehr „mit links erledigt“ werden: Linkshändigkeit war lange negativ behaftet, die Kinder wurden umerzogen. Doch auch hier ist es so, dass es die Betroffenen nicht so ernst nehmen, wie empfindsame Aktivisten.
Ohne Frage ist Sensibilität im Sprachgebrauch richtig und wichtig. Doch wir sollten es nicht übertreiben. Derzeit scheint es, als würden einige die Nadel im Heuhaufen suchen. Otto Waalkes hat eine Szene mit dem Schauspieler Günter Kaufmann gedreht, die mit der Triggerwarnung gemeint sein könnte. Der Schauspieler ist leider verstorben, wir können ihn nicht mehr fragen. Doch mit hoher Wahrscheinlichkeit hat er diese Szene freiwillig gedreht. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wohlgemerkt.
Halten wir es bei dieser Diskussion doch einfach, wie von Otto Waalkes höchstpersönlich bemerkt: Wir haben andere Probleme, auf die wir unseren Fokus legen können und legen sollten.
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