Zeitumstellung – die Diskussion ist überflüssig

Zeitumstellung – die Diskussion ist überflüssig

Die Zeitumstellung ist eine Diskussion, die zweimal im Jahr aufs Neue entbrennt. Die meisten Menschen sind dagegen. Umfragen zufolge soll das Drehen an der Uhr abgeschafft werden. Kritiker beklagen negative Auswirkungen auf den Körper. Von Jetlag ist die Rede. Bleiben darf die Sommerzeit: Es bedeutet, dass unsere Uhren dauerhaft eine Stunde vorgehen. Am Morgen ist es länger dunkel, am Abend länger hell. Die EU bekommt das Problem nicht auf die Reihe, obwohl in einer Umfrage 84 Prozent der Bürger gegen die Zeitumstellung gestimmt haben. Ich finde die Diskussion überflüssig. Warum? Das erfährst du im Artikel.

Zeitumstellung: Zwischen 2 und 3 Uhr in der Nacht drehen wir an der Uhr.
Zeitumstellung: Zwischen 2 und 3 Uhr in der Nacht stellen wir die Uhren um

Zeitumstellung: Seit 1980 drehen wir an der Uhr

In den 1970er-Jahren gab es die Ölkrise. Wir waren noch Kinder und lebten in der DDR. Dort kannten wir einige Krisen: von dieser waren unsere Eltern nicht betroffen. Dennoch schauten wir Westfernsehen und bekamen mit, dass Sonntags keine Autos fahren durften und dass der Kraftstoff knapp war. In der Folge wurde die Sommerzeit eingeführt: Seit dem 6. April 1980 stellen wir die Uhren eine Stunde vor. Im Herbst, bis 1995 war es das letzte Wochenende im September, drehen wir die Uhren wieder zurück.

Beginnt die Hitparade jetzt später?

Ich kann mich noch erinnern, wie mein Vater von der neuen Uhrzeit erzählte. Vorstellen konnte ich mir darunter nichts. Es gab ein Heft, in dem meine Mutter das Programm des Westfernsehens eintrug. Einmal in der Woche, an einem Sonntag, las eine Sprecherin die Sendungen der nächsten Woche im Fernsehen vor. Es war ein Service für uns DDR-Bürger: Wir konnten keine Zeitung kaufen, in dem das Programm abgedruckt war.

Die Hitparade begann um 19.30 Uhr. Würde sich das jetzt um eine Stunde verschieben? Ich war sehr gespannt, auf das letzte Wochenende im März. Doch es passierte … nichts. Um 19.00 Uhr las der Sprecher die Nachrichten. Pünktlich begann Dieter Thomas Heck mit seiner Sendung und sagte die Zeit an. 19.30 Uhr und ein paar Sekunden. Wie langweilig! Wir merkten ja gar nichts, von der Zeitumstellung.

Der Jetlag ist an uns vorbeigelaufen

Dabei blieb es, in den folgenden Jahrzehnten. Ich wurde erwachsen, lernte meinen Mann kennen, wir bekamen Kinder und stellten Jahr für Jahr die Uhr um. Die Sonntage waren ein bisschen komisch. Das Frühstück verschob sich im Frühjahr und abends war es plötzlich länger hell. Toll! Im Herbst konnten wir eine Stunde länger schlafen. Der Tag zog sich wie Kaugummi. Halb sechs begann es dunkel zu werden. Ich bin kein Freund der dunklen Jahreszeit und fand diesen Tag schön und grässlich zugleich.

Am Montag danach ging das Leben weiter wie bisher. Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder gar ein Jetlag? Wir haben nichts davon gemerkt. Mein Mann arbeitet seit dem Abschluss seiner Lehre im Dreischichtsystem. Unsere Kinder drehten an den Sonntagen nicht am Rad und in der Woche danach auch nicht. Vielleicht lag es daran, dass wir die Zeitumstellung mit ihnen gar nicht kommuniziert haben. Ich war schon in meiner Schulzeit eine Eule: „Abends nicht rein und morgens nicht raus“, kommentierte meine Mutter meinen Rhythmus. Folglich kommt es mir entgegen, dass es morgens länger dunkel und abends länger hell ist.

Schlafstörungen als gesundheitliches Problem

Nun wollen wir nicht von uns auf andere schließen: Mediziner und Wissenschaftler bestätigen, dass die Zeitumstellung zu Schlafstörungen führen kann. Es handelt sich um ein ernsthafte gesundheitliches Problem, das ich nicht verharmlosen möchte. Ich habe nach der Schule eine medizinische Ausbildung absolviert und weiß, wie wichtig die Regeneration im Schlaf für unseren Körper ist.

Was ist nicht verstehe: Warum wird das Thema Schlaf im Zusammenhang mit der Zeitumstellung zur Diskussion gestellt, in anderen Lebensbereichen aber nicht? Wir gehen um 22 Uhr in die Kino-Spätvorstellung. Danach trinken wir in der Bar nebenan einen Cocktail und tauschen uns über die vergangene Woche aus. Wir fahren nachts mit öffentlichen Verkehrsmitteln und erwarten, dass ein Krankenwagen kommt oder die Polizei, wenn wir sie brauchen.

Die Lieblingsschokolade ist ausverkauft!

Die Regale im Supermarkt müssen voll sein. Unsere Lieblingsschokolade mit den vollen Nüssen ist gerade nirgendwo zu bekommen und die neue scharfe Chipssorte ist schon wieder vergriffen? Geht doch gar nicht! Dann müssen die Unternehmen doch einfach mal mehr produzieren. Das machen die meisten sogar: Im Dreischichtsystem. Da stehen Männer und Frauen in der Nachtschicht an der Anlage, dass wir jederzeit aus einhundert Sorten Schokolade auswählen können.

All diese Dinge sind für uns selbstverständlich. Während ein Krankenhaus und eine Polizeiwache rund um die Uhr geöffnet sein sollten, ist dies bei Kino, Bar oder ÖPNV nicht überlebensnotwendig. Wir könnten auch ohne volle Schokoladenregale leben und weniger Käsesorten würden unserer Existenz nicht schaden. Aber wir erwarten, dass alles verfügbar ist und dass das Kino nicht um 20 Uhr schließt, weil die Mitarbeiter ihren Nachtschlaf brauchen. Viele von uns wären erstaunt, wenn die Supermärkte das Angebot um die Hälfte reduzieren, weil Industriebetriebe nur noch zwischen 6 und 20 Uhr produzieren und am Wochenende schließen. Dem Nachtschlaf der Mitarbeiter zuliebe.

Ein Geben und Nehmen

Das Leben in einer Gesellschaft ist ein Geben und Nehmen. Wenn wir erwarten, dass die Bürgersteige nicht um sechs Uhr hochgeklappt werden und der Nachtwächter die Straßenlampen ausknipst, sollten wir bereit sein, etwas zurückzugeben. Auch wenn es weh tut. Ich behaupte kühn, dass sich Schichtarbeiter, Krankenpfleger und Busfahrer nicht über die Zeitumstellung aufregen. Sie sind es gewohnt, in unterschiedlichem Rhythmus zu arbeiten und zu schlafen. Vermutlich geht es ihnen wie uns: An den Sonntagen merken wir, dass etwas anders ist. Am Montag ist es wieder vorbei.

Jeder, der abends ins Kino gehen möchte, der nach dem Barbesuch auf den Nachtbus wartet und der jederzeit die leckere Schokolade mit den vollen Nüssen kaufen möchte, sollte zweimal im Jahr an die Menschen denken, die keinen regelmäßigen Schlafrhythmus haben. Weil sie rund um die Uhr ihren Beitrag für die Gesellschaft leisten. Experten sind der Meinung, die Zeitumstellung wäre überflüssig. Sie mögen recht haben. Doch auch sie werden Schokolade essen und auf den Nachtbus warten. Wenn sich Experten um die Gesundheit der Menschen sorgen, die unter der Zeitumstellung leiden, frage ich: Was ist mit der Gesundheit der anderen? Müssen sie die Schlafstörungen in Kauf nehmen, damit wir um 22 Uhr einen Kinofilm sehen können?

Die Zeitumstellung sollte Energie sparen

Warum drehen wir eigentlich an der Uhr? Die Ölkrise führte zu einer Rezession in der BRD, aber auch in anderen Ländern Europas. In Frankreich gab es die Sommerzeit bereits seit 1976. Und sie ist noch älter: Deutsche stellten in den Jahren 1916 bis 1918 erstmals ihre Uhren um. Zwischen 1940 und 1949 gab es wieder eine Sommerzeit. Sie pausierte zwischen 1950 und 1979. Seitdem gilt sie ununterbrochen in allen Staaten Europas.

Somit ist die Sommerzeit keine fixe Erfindung irgendeines EU-Kommissars, der am Schreibtisch Langeweile hatte. Schauen wir in die Geschichte, wollte Benjamin Franklin im 18. Jahrhundert noch das Nachtleben einschränken, um Energie zu sparen. Ab dem 19. Jahrhundert gibt es die Idee der Sommerzeit, seit dem Ersten Weltkrieg wird sie umgesetzt.

Das Ziel ist immer noch die Einsparung von Energie: Wenn es abends länger hell ist, brauchen die Menschen nicht so viel Licht. Der Gedanke ging nicht auf: Heute wissen wir, dass die Sommerzeit keine Energie einspart. An dieser Erkenntnis orientieren sich die Kritiker: Wir brauchen die Zeitumstellung nicht und können unsere Gesundheit schonen, indem wir auf das Umstellen der Uhr verzichten. Das ist ein Argument. Doch warum drehen wir immer noch an der Zeit?

Die Antwort ist einfach: Es ist ein deutsches Problem, kein europäisches. In den anderen Ländern haben sich die Menschen mit der Zeitumstellung arrangiert. Wir leben in einem europäischen Staatenbund mit eng verknüpften Handelsbeziehungen. Da ist es nicht förderlich, wenn ein Land die Zeit umstellt und ein anderes nicht. Aus diesem Grund müssen sich alle Staaten einig sein. Und das sind sie nicht.

84 Prozent der EU-Bürger sind gegen die Zeitumstellung

Im Sommer des Jahres 2018 fragte die EU ihre Bürger nach der Meinung zur Zeitumstellung. 84 Prozent sprachen sich dagegen aus.

Eine aufwendige Befragung hatte bereits 2018 ergeben, dass eine überwältigende Mehrheit (84 Prozent) der EU-Bürger von der Zeitumstellung genug hat.

BILD vom 25. Oktober 2024

Doch war es wirklich eine „überwältigende Mehrheit der Eu-Bürger“? Schauen wir uns die Ergebnisse der Umfrage doch einmal im Detail an: 4,6 Millionen Bürger haben an der Abstimmung teilgenommen. Davon kamen:

  • 3,2 Millionen Bürger aus Deutschland
  • 400.000 Bürger aus Frankreich
  • 265.000 Bürger aus Österreich
  • 88,758 Bürger aus Spanien
  • 17.157 Bürger aus Polen
  • 13.540 Bürger aus Großbritannien
  • 11.500 Bürger aus Luxemburg

Zwei Drittel der Bürger, die sich an der Abstimmung beteiligt hatten, kamen aus Deutschland, gefolgt von Österreich und Luxemburg. Vielleicht lag das große Interesse der Luxemburger daran, dass der damalige EU-Präsident Jean-Claude Juncker aus Luxemburg stammte. Er war auch derjenige, der sagte: Wenn die Menschen das wollen, dann machen wir das. Passiert ist nichts.

Eine deutsche Umfrage

Ich möchte die These der BILD-Zeitung infrage stellen: Nicht 84 Prozent der EU-Bürger haben gegen die Zeitumstellung gestimmt, sondern 67 Prozent der Deutschen. Alle übrigen Länder der EU stellen gemeinsam lediglich 33 Prozent der Teilnehmer. Inklusive Großbritannien, das damals noch zur EU gehörte. Dort betrug die Beteiligung nur 0,02 Prozent der Gesamtbevölkerung. In Deutschland stimmten 3,79 Prozent ab. Wir liegen an der Spitze. Doch insgesamt war die Beteiligung gering: Die EU hat 452 Millionen Einwohner.

Gegner der Zeitumstellung zitieren diese Umfrage gern, ohne die Details zu nennen. Fakt ist jedoch: Die meisten Europäer haben sich gar nicht beteiligt, weil sie an dem Thema kein Interesse haben. Wie so oft, haben sich die Kritiker zu Wort gemeldet. Mich erinnert das an die Rezensionen, die im Netz zu lesen ist: Wer meckert, schreibt viel. Wer zufrieden ist, oftmals gar nichts.

Nun gibt es die Umfrage. Die Zeitumstellung gibt es auch noch. Warum ist das so?

Es gab keine Einigung in der EU

Grundsätzlich ist die Entscheidung für oder gegen die Zeitumstellung eine nationale Entscheidung. Die EU ist jedoch um eine gemeinsame Regelung bemüht: Würden Deutschland und Polen beispielsweise die Sommerzeit beibehalten, Spanien und Portugal aber nicht, käme es im grenzüberschreitenden Verkehr und in der Logistik zu großen Problemen. Ein Flickenteppich soll vermieden werden. Aus diesem Grund möchte die EU eine einheitliche Zeit beibehalten.

Es gibt drei Varianten für die Vereinheitlichung der Mitteleuropäischen Zeit:

  • Die Zeitumstellung wird beibehalten
  • Die dauerhafte Sommerzeit wird eingeführt
  • Europa kehrt zur Normalzeit (auch Winterzeit genannt) zurück

Die Winterzeit ist die Normalzeit in Europa: Um 12 Uhr steht die Sonne an ihrem höchsten Punkt am Himmel. Umfragen in Deutschland haben ergeben, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung eine dauerhafte Sommerzeit wünscht: Die Uhren würden im Frühjahr vorgestellt und diese Zeit dann beibehalten. Diese Position vertrat auch die Regierung Merkel nach der Umfrage im Jahre 2018. Doch es stellte sich heraus, dass andere Länder an einer Änderung der mehr als 40 Jahre alten Regelung gar nicht interessiert sind.

Andere Länder – andere Prioritäten

Die geringe Beteiligung an der Umfrage zeigt, dass die Menschen in anderen Ländern offenbar weniger mit der Zeitumstellung hadern als die Deutschen. Vielleicht zu Recht: Die Kritiker schimpfen über den Jetlag, weil wir die Uhr eine Stunde vor oder zurückdrehen. Aber viele von ihnen fliegen nach Australien oder Los Angeles, um dort den Urlaub zu verbringen oder Freunde zu besuchen.

Hinzu kommt, dass es in anderen Ländern bezüglich der Zeit andere Prioritäten gibt: Spanien spricht sich gegen die dauerhafte Sommerzeit aus. Aufgrund der geografischen Lage würde es im Winter erst gegen halb Zehn hell werden. Das ist nicht gewünscht. Polen vertritt die Ansicht, dass die dauerhafte Winterzeit kein guter Kompromiss wäre, da es in den östlichen Regionen im Sommer bereits um halb Vier hell wird.

Nach der Umfrage gab es Konsultationen, doch es herrschte eine große Uneinigkeit. Das System mit der Zeitumstellung hat sich bewährt. Deshalb wurde es beibehalten. Corona war nicht Schuld, und die Unfähigkeit, die der EU mitunter zu Recht bescheinigt wird, ist dieses Mal auch nicht der Grund dafür, dass wir immer noch an der Uhr drehen. Es konnte schlichtweg kein Kompromiss gefunden werden, der alle Länder zufriedenstellt.

Das deutsche Mimimimi

Die Deutschen sind dafür bekannt, dass sie gern jammern. In den Tagen vor der Zeitumstellung raunt das Mimimi besonders laut durch die Städte und Regionen der Republik. Dann sind die Sonntage Ende März und Ende Oktober vergangen und es kehrt wieder Ruhe ein. Der Bürger geht seinem täglichen Kram nach. Bis der Aufschrei wieder lauter wird.

Wir gehen bis 22 Uhr einkaufen, möchten volle Regale, feurige Chips und Nussschokolade. Wir würden komisch gucken, wenn das Kino um 20 Uhr schließen würde, weil die Mitarbeiter ihren Nachtschlaf brauchen. Stellen wir uns doch mal vor, die Bahn klappt um 18 Uhr ihre Bahnsteige hoch und der Gastwirt schließt die Tür ab. Wollen wir das?

In unserer modernen Gesellschaft ist der Sonntag mittlerweile kein Ruhetag mehr: Viele Menschen stehen ganz selbstverständlich früh auf und gehen arbeiten oder fahren abends in die Nachtschicht. Bei Sonnenuntergang ist nicht automatisch „Feierabend“, sondern das Nachtleben geht erst los. Von Krankenhäusern, Pflegeheimen, Feuerwehren und Polizeistationen reden wir gar nicht: Sie sind rund um die Uhr unverzichtbar. Und die Menschen, die zu jeder Tageszeit, 365 Tage im Jahr arbeiten müssen, sind es auch.

Es würde uns gut stehen, Gegebenes einfach zu akzeptieren. Wir brauchen keine Abschaffung der Zeitumstellung und auch keine Diskussionen darüber. In einer Gesellschaft gibt es nunmal Dinge, die nicht zu ändern sind. Auch, wenn sie uns nicht gefallen. Und wer an den Sonntagen unter dem Jetlag leidet, der denke doch einfach an die vielen Menschen, die nicht nur zweimal im Jahr aus ihrem Rhythmus kommen. Die mehr als 200 Tage rund um die Uhr da sind, um die Gesellschaft am Laufen zu halten.

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