Radfahren in Potsdam und Berlin: Immer mal was Neues
Radfahren in Potsdam und Berlin könnte ein wahres Vergnügen sein. Brandenburg hat mehrere hundert Kilometer lange, gut ausgebaute Radwege. In Berlin sind in den letzten Jahren zahlreiche Fahrspuren zu Radwegen umgewidmet worden. Und nicht nur das sorgt für Diskussionen: Radfahrer, Fußgänger und Autofahrer können sich in unserer Region nicht leiden. Ein authentischer Erlebnisbericht.
Täglich grüßt das Murmeltier: Die Diskussionen rund um den Radfahrer
Diskussionen über Fahrradfahrer gibt es nicht nur auf Brandenburger Radwegen: Der RBB berichtet in den sozialen Netzwerken von dem Ausbau eines Radweges in der Schönhauser Allee in Berlin. Die Reaktionen reichen vom sich übergebenden Smiley über die Bezeichnung „Körnerfresser“ für alle Radler bis hin zu der Bemerkung, dass Möbelfahrer doch die Pakete abwerfen könnten, wenn Autos derart blockiert würden. Der Radweg sei Schikane, Radfahrer mögen doch endlich Steuern zahlen. Die Planung wäre asozial und grüner Schwachsinn. Ein einziger Kommentar findet sich, der den Ausbau begrüßt. Es sei angemerkt, dass die Schönhauser Allee eine stark befahrene vierspurige Straße ist, die von Lieferwagen und Lkws hoch frequentiert und von Pendlern für die Ost-West-Verbindung in der Hauptstadt genutzt wird. Woher kommt dieses Bashing gegen Radfahrer, das auch ich auf meinen täglichen Touren in einer etwas milderen Form erlebe?
Brandenburg hat rund um Berlin und Potsdam zahlreiche sehr gut ausgebaute Radwege. Hinzu kommen Fernradwege, etwa nach Usedom oder Leipzig, die unser Bundesland kreuzen. Auch der Europaradweg R1 führt durch Brandenburg. Ich bin täglich mit meinem Fahrrad unterwegs und ich oute mich als E-Bike-Fahrer. Das sind diejenigen, die gar nicht Fahrrad fahren, sondern sich von ihrem Motor durch die Landschaft ziehen lassen. Oder die unsere Radwege überstrapazieren, sodass die klassischen Radfahrer, wie im Zitat zu lesen, frustriert nach Hause zurückkehren.
6.000 Kilometer im Jahr und einiges zu erzählen
Die Radwege sind von den motorisierten Fahrern so übervölkert, dass ich meine Tour am heutigen Ostersonntag abbrechen musste.
Zitat eines passionierten Radfahrers im Rentenalter, gepostet als WhatsApp-Status
Ich habe mein erstes E-Bike im Jahre 2016 über einen Leasingvertrag bekommen. Die Idee hatte mein Mann. Bis dahin pflegte ich einen eher unsportlichen Lebensstil. Ich fahre seit meiner Kindheit leidenschaftlich gern Fahrrad, doch wir wohnen auf einem Berg und es war sehr mühsam, diesen nach einer längeren Radtour zu erklimmen. Überhaupt war ich meinem sportlichen Gatten zu langsam. So wurden aus geplanten Radtouren gern Fahrten mit dem Cabrio. Dies änderte sich in dem Moment, in dem ich das erste Mal mit meiner holländischen Gazelle, sie hatte einen Frontmotor, den Berg hochdüste. Das Radfahren entwickelte sich für mich zu einer Leidenschaft, der ich heute täglich nachgehe. Ich gleiche meine sitzende Tätigkeit aus und fahre im Durchschnitt 16 Kilometer am Tag. Im Sommer sind es deutlich mehr, im Winter ist es nicht jeden Tag möglich. Kälte stört mich nicht, Schnee, Eis und glatte Straßen schon.
Roman über einen, der auszog, um Fahrrad zu fahren
Ich gehöre eher zu den gemütlichen Radlern, das ist mit meiner Affinität zu mehr als 30 kg schweren Hollandrädern gar nicht anders möglich. Mittlerweile fahre ich meine dritte Miss Grace, die erste hatte noch keinen Motor. Mein aktuelles Rad ist so eine Art Lebensliebe: Ich habe meinen Deckel gefunden und möchte ihn nicht mehr hergeben. Was ich auf meinen täglichen Touren erlebe, würde Stoff für ein Buch füllen. Dass die Brandenburger beim Radfahren ausgesprochen aggressiv sind, bestätigte einmal der in Potsdam lebende Schauspieler Jörg Hartmann in einem Interview: Er war als A***loch bezeichnet worden, weil er mit seinem Rad einen Autofahrer in einer Nebenstraße gestört hatte. In seiner Heimat NRW wären die Menschen nicht so aggressiv, berichtete er.
Radfahrer-Bashing in den sozialen Netzwerken
Es gibt weitere Beispiele für das tägliche Battle zwischen Radfahrern, Autofahrern und Fußgängern in den sozialen Netzwerken: Eine lokale Zeitung stellte kürzlich die Frage, wie oft die Menschen ihr Fahrrad nutzen würden. Keine fünf Posts musste ich herunter scrollen, bis ich das erste Bashing las: Radfahrer wären Rowdies, hielten sich nicht an die Regeln, nutzten keine Radwege, fahren die Fußgänger um und behindern den Autoverkehr. Das war zwar nicht die Frage, doch es ist offensichtlich: Der Radfahrer ist auf der Straße nicht erwünscht. Selbst eine Unfallmeldung auf Facebook, die von dem unverschuldeten Tod eines Radfahrers in Potsdam berichtete, strotze nur so von Vorwürfen. Nicht gegen den Autofahrer, der rechts abbog und den Radfahrer unter sich begrub. Die Worte richten sich gegen die gesamte Radfahrergemeinde. Woher kommt dieser Hass und warum erlebe ich Situationen, in denen ich mich als Radfahrer unterzuordnen habe, wenn ich auf meinem gemütlichen Hollandrad mit kleinem Motor der Einstiegsklasse meine Bahnen ziehe?
Szenario 1: Überholen auf Straßen ohne Radweg
Viele Jahre führte mich meine tägliche Standardstrecke, auf der ich aus unserer Kleinstadt herausfuhr, durch eine enge, stark befahrene Straße. Laut der Aussage meines Großvaters wurde sie vor dem Zweiten Weltkrieg gebaut, mit dem typischen Pflaster, das die Gläser im Schrank klingeln ließ, wenn ein Lkw vorbeidonnerte. Das weiß ich so genau, weil ich in der Straße aufwuchs. Sie ist von Obstzüchterhäusern geprägt, mit Vorgärten, Nebengelass und vielen Quadratmetern Garten. Die Häuser stehen zu beiden Seiten der Straße, sodass sie nach der Wende nicht nennenswert verbreitert werden konnte.
Wenn Stadtverordnete ihr Herz für die Nostalgie entdecken
Mittlerweile ist die Straße vom Pflaster befreit und geteert. Der Nostalgie der Stadtverordneten sei es gedankt, dass an den Rändern zum Bordstein ein etwa 30 Zentimeter breiter Streifen in dem alten Pflaster beibehalten wurde. Für uns Fahrradfahrer bedeutet dies, dass wir in der engen Straße Abstand zum Bordstein halten müssen. Einen Fahrradweg gibt es nicht, dafür beidseitigen Autoverkehr und eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Für den Autofahrer bedeutet dies, dass er über die gesamte Länge der Straße, dies sind etwa 1,5 Kilometer, hinter dem Radfahrer herfahren müsste, wenn Gegenverkehr vorhanden ist. Und der ist in der Regel immer vorhanden. Das dauert dem Autofahrer zu lange, er überholt trotzdem. Die in der StVo vorgeschriebenen 1,5 Meter Abstand können mangels Platz nicht eingehalten werden.
Rettung in letzter Sekunde und ein Unfall
Einmal kam mir ein SUV entgegen, mit einer Geschwindigkeit jenseits der 50 km/h, die Dame hatte es sehr eilig. Ich konnte mich mit meinem Rad auf den Fußweg retten, sonst würde ich die Kolumne hier vermutlich nicht mehr schreiben können. Wie einige andere Radfahrer bin ich in dieser Straße Opfer eines Unfalls geworden. Unschuldig, laut Unfallprotokoll, aber dann doch nicht, denn ich bin ja motorisiert. Deshalb stehe ich mit dem Autofahrer auf einer Stufe und müsse meine Unschuld beweisen. Ich bekam schließlich ein kleines Schmerzensgeld zugesprochen.
Eine lang ersehnte Radbrücke
Im vergangenen Jahr haben wir eine Radbrücke über die Havel bekommen, nun muss ich die Straße nicht mehr befahren. Die Stadtverwaltung lehnt sowohl eine Begrenzung der Geschwindigkeit auf 30 km/h als auch eine Einbahnstraßenregelung ab. Für einen Radweg ist kein Platz. Wer in der Straße wohnt oder nicht auf die neue Umfahrung über die Radbrücke ausweichen kann, für den bleibt die schwierige Situation bestehen. Hoffen wir, dass niemand dort zu einem ernsthaften Schaden kommt.
Szenario 2: Spaziergänger und die lange Hundeleine
Meine tägliche Tour führt mich über einen Teil des Havelradweges. Er verbindet Werder (Havel) mit Potsdam. Auf der Potsdamer Strecke ist der Radweg kurvenreich, teils auch recht schmal. Dennoch handelt es sich um einen ausgewiesenen Radweg, der Teil einer etwa 365 km langen Strecke ist, die von der Quelle der Havel in der Nähe von Waren/Müritz bis zur Mündung in die Elbe nach Havelberg führt. Mir ist bewusst, dass Fußgänger Vorrang haben und ich halte mich daran. Doch fast täglich frage ich mich, warum sie unbedingt zu viert nebeneinander laufen und damit den gesamten Weg blockieren müssen. Ich besitze eine Klingel. Doch ich habe gelernt, dass man sich gestört fühlt, wenn ich sie benutze. Wenn ich nicht klingle und mich vorbeidrücke, ist es auch nicht richtig. Nett sind auch die Hundebesitzer, die ihre Leine quer über den Weg spannen. Rücksichtnahme wird von den Radfahrern gefordert, von den Fußgängern darf ich sie nicht immer erwarten. Ich kann aber nichts dafür, dass wir uns die Radwege hier in Brandenburg teilen müssen.
Nur auf den blau ausgeschilderten Radwegen und nirgendwo sonst
Einmal kam es zu einer Diskussion. Ich klingelte, doch wurde nicht erhört. Ich stieg von meinem Rad und fragte, warum man nicht kurz zur Seite treten und mich vorbeilassen könnte. Vier Frauen liefen nebeneinander, sie fühlten sich gestört. Eine erklärte mir, ich hätte den Fußgängern Vortritt zu lassen. »Auf den blau ausgeschilderten Radwegen können Sie fahren und nirgendwo sonst.« Leider gibt es hier in Brandenburg nur wenige blau ausgeschilderte Radwege. Ist es wirklich zu viel verlangt, beim Vernehmen der Fahrradklingel kurz beiseite zu treten, wenn man auf einem ausgewiesenen Fuß-Radweg spazieren geht? Ein Herr auf einem Rennrad, der ebenfalls nicht vorbeikam, regte sich lautstark über das Kaffeekränzchen auf. Das ist nicht meine Art. Ich denke, Höflichkeit und Respekt sind wichtig. Doch die lassen einige Diskussionen auf den Brandenburger Radwegen vermissen.
Szenario 3: Zwei Kuriositäten
Unsere Lieblingsstrecke ist der Mauerweg, der entlang der ehemaligen Grenzanlagen rund um den Westteil Berlins führt. Die Strecke ist etwa 160 km lang, wir sind sie bereits viele Male gefahren. Sie ist mit einer einheitlichen Beschilderung ausgewiesen, es gibt im Internet und in klassischer Buchform etliche Dokumentationen mit dem Streckenverlauf. Ein klassischer Radweg also, der auch von vielen Spaziergängern genutzt wird. Wie bereits beschrieben, nutzt der freundliche Radfahrer die Klingel, bremst ab und fährt langsam vorbei. Mit einem Dankeschön, das auch sehr oft gut ankommt. Wir wollen ja nicht nur negativ berichten. Doch auch hier trafen wir auf eine Gruppe Frauen, die unsere Klingel ignorierten. Ganz bewusst, sie unterhielten sich und rückten keinen Zentimeter beiseite. Wir schoben unsere Räder vorbei und eine der Damen hatte uns etwas zu sagen: »Hier ist das Fahrradfahren verboten.«
Park Sanssouci
Seit vielen Jahren ist das Fahrradfahren im Park Sanssouci verboten. Dies gilt auch für die anderen Parks der Preußischen Stiftung Schlösser und Gärten. In Sanssouci und im Neuen Garten gibt es jeweils einen Versorgungsweg, der auch von Radfahrern genutzt werden kann. Dort fahren Gärtner mit ihren Autos, die Parkwache, Restaurateure. Fahrräder. Und es gibt Fußgänger, die aufgrund des vorhandenen Platzes zu siebt nebeneinander laufen. Ich frage mich wirklich: Warum tut man sowas? Der kilometerlange Park mit herrlicher Bepflanzung, alten Skulpturen und vielen lauschigen Bänken steht allein den Fußgängern offen. Das ist gut und richtig so. Ich würde niemals auf die Idee kommen, auf dem Versorgungsweg zwischen Rädern und Autos entlang zu laufen, wenn parallel ein attraktiver Fußweg verläuft. (Anmerkung: Der Versorgungsweg hat rechts und links einen Fußweg, der ist aber nur schmückendes Beiwerk.) So ziehen wir auch dort klingelnd unsere Bahn und freuen uns dennoch, dass wir durchs herrliche Sanssouci fahren dürfen.
Kein Platz für Fahrradfahrer in der Infrastruktur
Grundsätzlich hatte die Dame recht mit ihrer Aussage, dass Fahrradfahrer nur auf den blau ausgeschilderten Radwegen freie Fahrt haben. Es gibt sie selten, hier in Brandenburg und sicher auch in anderen Regionen Deutschlands. Wir müssen uns die Straße mit den Autofahrern teilen und die Radwege mit den Fußgängern. Und selbst wenn man gemütlich fährt, keine roten Ampeln entert und die Autos nicht am Spiegel rammt, weil man sich schnell vorbeidrücken möchte, hat man keinen wirklichen Platz, in der Infrastruktur des Straßenverkehrs. Ausgezeichnete Radwege auf Bürgersteigen werden gern von Fußgängern genutzt. Mit dem Smartphone in der Hand und weißen Knöpfen im Ohr hören sie die Klingel nicht und sind bei ihrem Gang auf den roten Radfahrstreifen in ihrer Welt versunken.
Vielseitige Nutzung der Fahrspuren für Radfahrer
Radfahrstreifen auf der Straße, wie sie in den letzten Jahren in Berlin in großer Anzahl entstanden sind, werden besonders vielseitig genutzt. Zum Parken, zum Liefern, zum Ein-und Ausladen, zum spontanen Halten, wenn jemand aussteigen möchte. Der Radfahrer darf dann absteigen, wenn das Auto vor seiner Nase bremst. In der Frankfurter Allee kam eine junge Frau ums Leben, weil sie einem parkenden Lieferwagen auf dem Radfahrstreifen auswich und auf der Fahrspur von einem Auto erfasst wurde. Radfahrer haben keinen wirklichen Platz, in der Infrastruktur. Und das ist das Problem. Aber nicht das Einzige.
Der Frust der Bürger verlagert sich in den Straßenverkehr
Bei meinen vielen Fahrradtouren frage ich mich manchmal, wo die ganze Wut herkommt. Muss ich einen Fahrradfahrer anblaffen, weil er klingelt? Oder weil er nicht klingelt? Weil er zu langsam fährt? Oder muss ich mich an den E-Bike-Fahrern stören, wie es im Zitat erwähnt wird? Ein tolles Beispiel möchte ich noch nennen, allerdings habe ich mich da auch nicht an die Regeln gehalten. Auf der eingangs beschriebenen Straße war ein langer Stau. Ich fuhr auf dem – leeren – Fußweg, um mich nicht hinten anstellen zu müssen. Ich war in Fahrtrichtung unterwegs, eine Dame kam mir ebenfalls auf dem Fahrrad entgegen. In entgegengesetzter Fahrtrichtung. Ich hielt an und schob mein Rad. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls abzusteigen, der Fußweg ist schmal. Im Vorbeigehen blaffte sie mich an: »Sie gehören hier überhaupt nicht her.« Ach so, dachte ich nur. Offenbar ärgerte sie sich darüber, dass sie meinetwegen absteigen musste. An einem Fußgänger hätte sie sich vermutlich vorbeigequetscht, ohne abzusteigen.
Radfahren in Potsdam und Berlin: Lasst uns netter zueinander sein
Der Straßenverkehr ist kein guter Ort, um Frust auszutragen, der sich aus welchen Gründen auch immer angestaut hat. Es ist ja nicht nur auf den Radwegen, sondern auch auf der Straße zu beobachten. Vielleicht sollten wir einfach netter zueinander sein. Der Radfahrer fährt langsam, betätigt die Klingel ein bisschen weniger forsch, der Fußgänger tritt höflich einen Schritt zur Seite, der Radfahrer bedankt sich. Auf der Straße wäre es toll, wenn einige Autofahrer nicht nur meckern, sondern das tun würden, was sie vom Radfahrer verlangen: Sich an die Regeln halten. Bei Überholen, beim Halten und Parken auf dem Radstreifen, beim Rechtsabbiegen. Ich denke, dann wäre ein Schritt in die richtige Richtung getan. Und die E-Bike-Fahrer? Sie dürfen am Ostersonntag ebenso Radfahren wie diejenigen, die ohne elektrische Unterstützung unterwegs sind. Es ist kein Grund, die Fahrradtour abzubrechen. Jeder von uns hat die Berechtigung, das öffentliche Rad- und Straßennetz zu nutzen.