Landtagswahlen im Osten: Warum wir anders sind

Landtagswahlen im Osten: Warum wir anders sind

Die Landtagswahlen im Osten haben die AfD als Wahlsieger hervorgebracht. In Thüringen gewann die als „gesichert rechtsextrem“ bezeichnete Partei deutlich vor der CDU. In Sachsen wurde der Abstand zur CDU mit jeder Auszählung größer, letztlich landete die AfD auf dem zweiten Platz. Nun wird die Mehrheitsbildung schwierig. Warum tun wir unseren Bundesländern einen Stillstand an? Thüringen hat in den letzten fünf Jahren bereits Erfahrung gesammelt: Dort führte Bodo Ramelow eine Minderheitsregierung. Liegt es am niedrigen IQ oder haben wir uns nicht ausreichend integriert? Oder können wir mit unserer Freiheit nichts anfangen? Ja, wir sind anders. Aber aus anderen Gründen.

Landtagswahl im Osten: Ein Wartburg als Relikt aus der DDR, stellvertretend für eine andere Mentalität
Der Wartburg wurde durch Golf und VW ersetzt, die Mentalität im Osten ist eine andere geblieben

Der Osten hat gewählt – es gefällt nicht jedem

Die Wellen schlagen hoch, nach den Landtagswahlen im Osten. Wir schreiben den 1. September 2024. In Sachsen und Thüringen wurden die Bürger zur Wahlurne gerufen. Um 18 Uhr war klar: Der Wahlsieger heißt in beiden Ländern AfD, obwohl die CDU in Sachsen noch knapp davor lag. Ihrem Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, geboren in Sachsen und mit stets kritischem Blick auf die Berliner Ampel, sei es gedankt.

Aufmerksame Medien weisen in den frühabendlichen Nachrichten neben den Wahlanalysen darauf hin, dass Deutschland vor 85 Jahren an eben diesem Tag in Polen einmarschiert ist. Nun hat eine Partei, die vom Fassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wurde, erstmals eine Landtagswahl gewonnen. In Thüringen.

Der Vorsitzende der dortigen AfD heißt Björn Höcke. Ein Politiker, der offiziell Faschist genannt werden darf. Ein Gericht hat es so entschieden. Bettina Schausten vom ZDF wies in ihrem Kommentar zur Landtagswahl im Osten auf diesen geschichtlichen Fakt hin. Sie war leider nicht in der Lage, mit den AfD-Politikern ein vorurteilsfreies Interview zu führen. Gleichermaßen war die Aufregung groß, dass die AfD ihre Wahlparty ohne die Presse feierte. Vielleicht ist der Grund genau in derartigen Interviews zu suchen?

Aufschrei und ein Versuch nach Erklärungen

Der Osten hat gewählt, der Aufschrei geht durch das Land, das Ergebnis gefällt vielen ostdeutschen Wählern, aber sonst kaum jemandem. Es ist ein Ergebnis, mit dem die Politik nur schwer arbeiten kann, wenn sie sich nicht selbst belasten möchte: Es gibt seitens der CDU, in beiden Bundesländern stärkste Kraft vor oder nach der AfD, Brandmauern gegen die AfD und die Linke. Das BSW, es wurde aus dem Stand drittstärkste Kraft, ist durch seine Frontfrau und Namensgeberin Sahra Wagenknecht links orientiert. Wer soll denn nun regieren?

Nach der Wahl gibt es Erklärungsversuche. Sie sind so absurd, dass sie kaum zitierfähig sind. Saskia Esken ist überzeugt, dass Bundeskanzler Olaf Scholz 2025 die Wahl gewinnen werde, obwohl die SPD in den Prognosen nur halb so viele Stimmen hat wie die CDU. Ricarda Lang weist die Migrationskrise als Grund für das starke Abschneiden der AfD von sich: Das wäre nicht das Thema, das die Menschen am meisten umgetrieben hätte.

Umfragen zeigen ein anderes Bild: Die Migrationskrise ist das Thema, das die ostdeutschen Wähler beschäftigt. Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen gaben mehr als 30 Prozent der Wähler an, dass sie die Bereiche Migration und Asyl am meisten beschäftigen.

Der Westdeutsche weiß Bescheid

Als junge Frau mit westdeutscher Biografie hat Ricarda Lang offenbar nicht viel Kenntnis, über das Leben und den Alltag der Menschen im Osten. Dieses Defizit teilt sie mit vielen Menschen aus Westdeutschland. Die sozialen Netzwerke haben sich in den letzten Jahren zu einem Sprachrohr entwickelt, das vielleicht nicht unbedingt repräsentativ ist. Niemand weiß, wer sich hinter einem Namen und einem Profilbild wirklich verbirgt. Doch manchmal reicht es aus, einige Meinungen zu lesen, um einen Eindruck davon zu bekommen, welchen Stellenwert wir Menschen aus dem Osten für einige Westdeutsche haben.

Wir im Osten werden in diesen Meinungen über einen Kamm geschert, um uns dieses Sprichwortes einmal zu bedienen. Uns liegt es fern, es mit den Westdeutschen gleichermaßen so zu tun: Nicht jeder denkt so. Viele von ihnen haben selbst eine ostdeutsche Biografie, weil ihre Eltern oder Großeltern aus der DDR geflüchtet sind. Deshalb sprechen wir in diesem Artikel nicht von allen Menschen, die in den alten Bundesländern leben.

Wir möchten es ja besser machen und nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Doch was wir zu lesen bekommen, auf Facebook & Co, ist abfällig, verletzend und manchmal einfach nur dumm. Etwas Positives gibt es dennoch zu bemerken: Werteten noch vor einigen Jahren drei von vier Kommentaren Ostdeutschland ab , sind es heute etwa drei von zehn. Entweder der Osten ist stärker vertreten, auf den sozialen Netzwerken, oder es gibt auch Westdeutsche, die mit der Politik unzufrieden sind.

Schauen wir uns einmal einige Meinungen an. Es dürfte niemanden verwundern, dass der Osten Protest wählt. Vielleicht ist es nicht nur ein Protest gegen die Politik der Ampel, sondern auch gegen die Ansichten, die über den ostdeutschen Bürger nicht nur in den sozialen Netzwerken verbreitet wird. Auch Bücher und Zeitschriften arbeiten sich gern am Ossi ab.

Ostdeutsche haben einen niedrigen IQ

Diese kurz formulierte Meinung war als Reaktion auf den Wahlerfolg der AfD in Thüringen und Sachsen auf Facebook zu lesen. Die junge Frau ist aufgrund ihres Namens und ihres Profilbildes mit hoher Wahrscheinlichkeit türkischer Abstammung. Da die Menschen im Osten einen niedrigen IQ hätten, würden sie AfD wählen, schrieb sie.

Es gibt keinerlei Erhebungen darüber, ob die Menschen in Ostdeutschland weniger intelligent sind als ihre Mitbürger in den westlichen Bundesländern. Darüber wird sich die junge Frau aber gar keine Gedanken gemacht haben. Sie wollte einfach nur etwas schreiben. Etwas, das ausdrückt, was sie von den Ostdeutschen hält

Wenn ein Bürger mit ostdeutscher Biografie einen solchen Kommentar liest, stellt er sich die Frage, warum er sich von einer jungen Frau mit Migrationshintergrund auf diese Weise beleidigen lassen muss. Uns Ostdeutschen wird ja im Allgemeinen Ausländerfeindlichkeit unterstellt, obwohl das so gar nicht stimmt. Doch wenn sie hier und da wirklich existiert: Fußt sie vielleicht auf derartigen Kommentaren?

Man muss nicht AfD wählen

Laut Umfrage sind 90 % der Deutschen für Neuwahlen im Bund. Deswegen muss man aber nicht die AfD wählen. Rechtes Gedankengut und Verbrüderung mit Russland gehören nicht zu Deutschland.

Meinung von der Userin Hei Wi aus Hannover zu der Forderung der BSW-Politikerin Amira Mohammed-Ali nach Neuwahlen im Bund unter einem Post von RTL aktuell.

Hei Wi aus Hannover trägt in ihrem Profilbild den Slogan „Wir sind mehr. Aufstehen gegen rechte Hetze.“ Ja, in Westdeutschland leben mehr Menschen als in Ostdeutschland. Dies ist der Politik geschuldet, denn nach dem Zweiten Weltkrieg schlossen dich drei Besatzungszonen zur BRD zusammen, während die DDR nur eine Besatzungszone stellte. Die sowjetische, von Westdeutschen gern als „Zone“ bezeichnet.

Wir sind mit dem „Bruderland“ Sowjetunion aufgewachsen, viele von uns fühlen sich der Sprache und Kultur dort mehr verbunden, als den Amerikanern. Und wir hatten nur wenig Berührung mit Ausländern, was unsere fehlende Offenheit gegenüber anderen Kulturen geprägt hat. Dennoch sind wir weder extrem noch rassistisch.

Die Dame ist mittleren Alters, und sie hat, wie viele Westdeutsche, keine Ahnung von den Menschen und von dem Leben in der DDR. Es mag AfD-Politiker geben, die rechtes Gedankengut verfolgen, und es gibt sicher auch einige Wähler. Aber diese Verallgemeinerung in Verbindung mit dem Banner „gegen rechte Hetze“ auf dem Profilbild von Hei Wi stehen für ein Klischee, dass dem Ostdeutschen anhaftet, seit er nicht mehr brav die Altparteien wählt: Braun, rechtsextrem, nationalsozialisch.

All dies sind wir nicht, liebe Frau Hei Wi. Und Sie haben in noch einem Punkt Unrecht: Wir gehören zu Deutschland. Trotz einstiger Verbrüderung mit Russland und deren Folgen, die bis heute in manchen Köpfen festsitzen.

„Man muss“ ist eine Formel, die in einer freien und unabhängigen Gesellschaft keinen Platz haben sollte. Wir müssen einiges. Sterben zum Beispiel. Aber eine bestimmte Partei müssen wir nicht wählen.

Zieht die Mauer wieder hoch!

Dieser Kommentar findet sich häufig, nicht nur in Bezug zur Landtagswahl in Sachsen und Thüringen. Vielleicht mag es mancher Westdeutsche nicht glauben, aber es gibt Ossis, die diese Idee gar nicht so schlecht finden. Warum? Weil viele von ihnen 1989 nicht auf die Straße gegangen sind, um sich von teuren linksgrünen Ideologien in die Altersarmut treiben zu lassen. Oder das Häuschen verkaufen zu müssen, weil die geforderten Sanierungen nicht zahlbar sind.

Vielen Ostdeutschen fehlt das finanzielle Polster, das im Westen in den Familien vererbt wird. Das Ersparte wurde im Zuge der Wiedervereinigung gefünftelt. Bis heute sind die Einkommen in Ostdeutschland niedriger. Das Zweitklassige, was viele Ostdeutsche empfinden, hat sicher mit dem Lebensstandard zu tun. Und damit, dass unsere Kultur faktisch nicht mehr existiert.

Die ehemalige DDR ist im Jahre 1990 nach Artikel 23 der Bundesrepublik Deutschland beigetreten. Für die Menschen in Ostdeutschland bedeutete dies, dass sie sich faktisch integrieren mussten. Sie durften nichts mitnehmen, von ihren Werten, von ihrer Mentalität, von ihrem Weltbild, das nach 40 Jahren Teilung selbstverständlich ganz anders war.

Meine Generation, die zur Wende gerade erwachsen geworden war, ist mehr als die Hälfte ihres Lebens Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Auf dem Papier. In der Realität sind viele von uns Ossis geblieben. Andersartig, seltsam, gern auch undankbar.

Wir wollten reisen

Ich erinnere mich, dass wir reisen wollten. Nicht die Osterinseln im Südpazifik waren unser Ziel, sondern Hamburg, der Nordseestrand, das Rheinland oder Schloss Neuschwanstein. Einmal nach London oder Paris fliegen. Rom und Kopenhagen kennenlernen. Ansonsten hätten wir unsere Werte und unsere Kultur gern behalten.

Die Forderung, die Mauer wieder hochzuziehen, kommt vornehmlich von Menschen aus Niedersachsen und NRW. Bayern oder ehemalige West-Berliner haben diese Gedanken nicht. Gerade West-Berlin, diese kleine Insel mitten in der sowjetischen Besatzungszone, hat von der Wiedervereinigung massiv profitiert. In unserer Kleinstadt am Rande Potsdams stellen Zuzügler aus Westdeutschland mittlerweile mindestens ein Drittel der Bevölkerung. Ist es doch der Neid, der diese Kommentare schürt?

Eine Neiddebatte von westdeutschen Bürgern?

Ostdeutschland ist landschaftlich sehr reizvoll. Nicht nur die Brandenburgische Seenlandschaft: Die Mittelgebirge in Sachsen und Thüringen, die mecklenburgische Ostseeküste, die historischen Zeugnisse in Sachsen-Anhalt. Bei uns gibt es schöne Fahrradwege, Wälder, Bauernhöfe und vielerorts das Wasser als Erholungsfaktor.

Wir wollten reisen, aber das Deutschland, in dem wir jetzt leben, haben viele von uns nicht gewollt. Deshalb wäre die neue Mauer okay. Doch wenn wir das Szenario weiter ausleben, stellen sich einige Fragen: Wie durchlässig würde diese Mauer sein? Dürfen die Westdeutschen, die bei uns leben, bleiben oder gehen sie wieder?

Bleibt die Mauer wieder nur in einer Richtung offen? Ist es das, was den Kommentatoren dieser Forderung gefallen hat? Dass sie in der besseren Häfte Deutschlands gelebt haben und dass das jetzt nicht mehr so sein könnte?

Eine Userin schrieb auf Facebook, dass die Kommentare dieser Couleur vornehmlich aus einem einzigen Bundesland stammen. Sie nannte es nicht. Ich möchte es benennen. NRW. Dazu kommt der Raum Hannover, aufgrund von persönlichen Erfahrungen. Bei einem Besuch bei Bekannten wurden wir in den Nuller Jahren als „Zonis“ bezeichnet und gefragt, wie uns Ananas aus der Dose und Bananen schmecken würden. Es war witzig gemeint. Wir fanden es nicht witzig. Aber wir haben dort das Wasser vermisst. Es gab keinen Fluss, keinen Badesee, nichts. Nur karge Felder, soweit das Auge reichte.

Ihr solltet Euch der Meinung der Mehrheit anschließen

Diese Meinung fand ich ganz Klasse: In Westdeutschland leben 3/4 der Bevölkerung, im Osten sind es nur 1/4. Deshalb mögen wir uns doch bitte in unseren Ansichten m der Mehrheit anschließen. Woher diese Mehrheit kommt, habe ich bereits erwähnt: Es gab einst vier Besatzungszonen, von denen sich drei zu einem Staat zusammenschlossen.

Nach 40 Jahren der Teilung, einem anderen Lebensstandard, einer anderen Mentalität und einer anderen Kultur haben wir ein Recht auf eine eigene Meinung. Auch wenn sie dem westdeutschen Verfasser dieses Kommentars nicht in den Kram passt. Meinungsfreiheit steht sogar im Grundgesetz. Und da wir zu Deutschland gehören, gilt das auch für uns.

Ostdeutsche haben einen Migrationshintergrund

Das Beste kommt bekanntlich zuletzt: Wir Ostdeutschen haben einen Migrationshintergrund und es nicht geschafft, uns zu integrieren. Vielleicht ist diese Ansicht auf den zweiten Blick sogar richtig, denn die DDR ist in die BRD integriert worden. Nur stand im Einigungsvertrag nicht, dass wir die Mentalität und die Lebensweise der westdeutschen Bevölkerung annehmen müssen.

Mit diesem Punkt höre ich auf, obwohl es noch viele weitere ambivalente Meinungen zu uns, unserem Charakter und unserer Lebensart gibt. Ja, wir sind anders. Aber nicht aus den Gründen, die in den sozialen Netzwerken von Bürgern mit westdeutscher Biografie vermutet werden.

Eine ostdeutsche Biografie

Meine Generation wurde zu einer Zeit in der DDR geboren, in der wir an unserem Lebensmittelpunkt nichts mehr ändern konnten. Das haben unsere Eltern so entschieden: sie wollten ihre Heimat als junge Erwachsene nicht verlassen. Gern reduzieren uns Westdeutsche auf die Diktatur, in der wir gelebt haben. Es war ein Überwachungsstaat, in dem die Stasi ihre Bürger unterdrückt hat. Bücher und Filme erzählen davon. Oft produziert und geschrieben von Westdeutschen. Oder von ostdeutschen Bürgern, die ihre Erfahrungen mit der Stasi beschrieben haben.

Das kleine private Leben

Es ist richtig, dass wir in einer Diktatur gelebt haben. In unserer Kindheit war uns das aber nicht so bewusst wie heute. Kinder nehmen das Leben an, das ihnen geboten wird. Das müssen sie tun, sie haben keine andere Wahl.

Wir hatten wir ein kleines Leben, in der Familie, mit den Freunden, in unserem Zuhause. Und dieses Leben, die Kindheit, Jugend und junge Erwachsenenzeit, ist für viele Menschen aus der DDR voller schöner Erinnerungen. Sie denken gar nicht daran, diese Erinnerungen schlechtzureden, nur weil einige Westdeutsche nicht hören wollen, dass es uns in diesem kleinen Leben gut ging.

Was hatten wir für eine Wahl? Meine Generation konnte die Grenzen nicht überqueren. Die Mauer war unüberwindbar, als wir geboren wurden. Für den Ausreiseantrag waren wir zu jung. Bei all seiner Abarbeitung am Ossi vergisst der Westdeutsche, dass die Geburt in einem Hamburger oder Münchener Krankenhaus nicht sein Verdienst war. Er vergisst, dass wir 40 Jahre ganz anders gelebt haben, ganz andere Werte hatten, andere Ziele und andere Strukturen.

Ich wüsste nicht, warum ich mich in den Westen integrieren muss, ich komme ja nicht aus einer anderen Kultur. Die Autoren und Filmemacher, im Osten geboren oder nicht, blasen alle in das gleiche Horn. Warum es nicht ein einziges Buch gibt, das den Ossi mal erklären lässt, warum er diese Regierung abwählen möchte, hinterfrage ich mal nicht. Eher stelle ich mir die Frage, warum der Westen weiter die Altparteien wählt. Aber er hat sicher Gründe dafür, dass er sich wünscht, dass alles bleibt wie es ist.

Ich persönlich wünsche mir Sicherheit für meine Kinder, meine Enkel und für mich. Unsere Kultur soll bewahrt werden, Mieten und Strom bezahlbar bleiben. Wenn in Solingen auf einem „Fest der Vielfalt“ Besucher von einem abgelehnten Asylbewerber verletzt oder ermordet werden, ist das nicht das Deutschland, für das ich 1989 als junge Erwachsene auf die Straße gegangen bin. Ich möchte als Rentner keine Flaschen sammeln, um mir ein Brot kaufen zu können. Kritik an der Politik sollte immer erlaubt sein. Auch Kritik an der Migration. Denn sie hat mit dem Einmarsch von Hitlerdeutschland in Polen an dem Tag, an dem die AfD in Thüringen die Wahl gewann, nichts zu tun.

Kann es die AfD besser?

Ob die AfD das kann, weiß keiner. Die Partei ist jung, es gibt die Brandmauer. Kommen wir zurück zu den Landtagswahlen im Osten. Nach Thüringen, wo die AfD die Wahl gewonnen hat. Warum sich die Menschen dort auch immer für das Kreuz entschieden haben: Sie haben es gesetzt. Wahlverlierer Mario Vogt von der CDU sucht nun nach einer Koalition. Das ist der Wählerwille der demokratischen Mitte, sagt er und spricht von Demut.

Ist er das wirklich oder fühlt sich der Bürger in der parlamentarischen Demokratie zunehmend so unwohl, dass er bewusst die Parteien am rechten und linken Rand wählt? Weil die Altparteien ja sowieso Koalitionen mit denen eingehen, die gerade in der Regierung mitmischen irgendwo im einstelligen Prozentbereich Stimmen erreicht haben.

Tino Chrupalla sagte am Wahlabend in einem seiner zahlreichen Interviews, dass die AfD bei 40 oder 45 Prozent liegen wird, irgendwann, wenn es immer so weitergeht. Vielleicht behält er Recht. Denn wer CDU wählt, bekommt SPD und Grüne dazu. Nur die FDP ist raus. Mit 0,9 Prozent, in Thüringen. In Sachsen waren es 0,2 Prozentpünktchen mehr.

Was die Menschen in Sachsen und Thüringen bewegt

Die Migration und die damit im Zusammenhang stehenden Probleme sind nur ein Thema, das die Menschen in Ostdeutschland bewegt. Junge Menschen haben das Gefühl, dass für die Zugewanderten mehr getan werden würde als für sie. Dies geht aus Umfragen hervor. Und es gibt noch mehr Probleme, die in Thüringen und Sachsen gelöst werden müssen:

  • Im ländlichen Raum fehlen Ärzte und Einkaufsmöglichkeiten
  • Der Lehrermangel führt bereits in der Grundschule zu Unterrichtsausfall
  • Der öffentliche Nahverkehr muss abseits der größeren Städte verbessert werden
  • Die Menschen haben Angst vor den Kosten für die Energiewende
  • Handwerkern und Selbstständigen macht die Bürokratie zu schaffen

Die Bürger fühlen sich von den Altparteien nicht verstanden und suchen mit der AfD und dem BSW nach Alternativen. Dabei sind sie weder rechts- und linksextrem. Viele sind verzweifelt, haben Angst vor der Zukunft oder eine Wut im Bauch, weil die Berliner Politik, so meinen sie, an ihnen vorbei regiert.

Landtagswahl im Osten – wir bleiben anders

Wir sind anders, im Osten, und wir werden es bleiben. Dies gilt für meine Generation, für die Generation meiner Eltern und für die meiner Kinder. Vielleicht gelingt das Zusammenwachsen in der Enkelgeneration. Das werde ich nicht mehr miterleben.

Wir wählen anders, weil wir anders leben. Wir haben eine andere Herkunft, eine andere Biografie, andere Sorgen und andere Dinge, die uns bewegen. Viele Menschen in Ostdeutschland fühlen sich von der Ampelpolitik allein gelassen. Das Einkommen ist in vielen Regionen geringer als im Westen. Die Infrastruktur ist schlecht, es gibt keine gute ärztliche Versorgung, zu wenige Lehrer an den Schulen, und der nächste Supermarkt ist nicht selten 10 Kilometer weg.

Menschen in kleinen abgelegenen Dörfern sollen in ihre alten Häuser eine Wärmepumpe einbauen, eine Solaranlage auf dem Dach installieren und ein E-Auto kaufen. Dabei fragen sie sich ganz andere Dinge: Wird die Rente für den Lebensabend reichen? Wie komme ich zu meinem Hausarzt, wenn ich kein Auto mehr fahren kann? Und wo kaufe ich ein, wenn der Supermarkt im nächsten Dorf schließt?

Ostdeutschland mit seinen Besonderheiten respektieren

Vielleicht würde ein Zusammenwachsen gelingen, wenn die Politik und die Menschen im Westen Ostdeutschland mit seinen Besonderheiten respektieren. Wenn sie ihnen die gleiche Achtung entgegen bringen, die sie selbst erwarten. Vermutlich ist es einfach, jeden AfD-Wähler als rechtsextrem abzustempeln, Björn Höcke als Faschist und Sahra Wagenknecht als Betonsozialistin (Quelle: BILD) zu bezeichnen. Doch damit ändern die Medien und die Menschen da drüben gar nichts. Das Gegenteil ist der Fall: Die Menschen bleiben anders und sie wählen anders.

Bereits die Europawahl 2024 ist die Landkarte in den Grenzen des Kalten Krieges geteilt. Kommen wir so weiter? Ich glaube nicht. Besser wäre es, die Gründe zu hinterfragen, sie zu verstehen und zu versuchen, das, was den Wählern unter den Nägeln brennt, anzupacken. Doch irgendwie gelingt es nicht.

Ein Büchertisch mit Literatur zu Ostdeutschland

Pünktlich zu den ostdeutschen Landtagswahlen im September – Brandenburg folgt am 22. – hat das Kulturkaufhaus Dussmann in der Berliner Friedrichstraße einen Büchertisch aufgestellt: Literatur zu Ostdeutschland: Ein Werk von einer Tagesschau-Sprecherin und vormaligen Sportreporterin, die zufällig im Osten geboren wurde. Bücher von Historikern und Soziologen, die den Ossi erklären möchten.

Wie wäre es, wenn man ihn einmal selbst zu Wort kommen ließe? Es gibt leider kein Werk, das von dem kleinen Leben erzählt, das Millionen DDR-Bürger abseits der Stasi lebten. Hat sich schonmal jemand gefragt, wie eine analoge Überwachung für 16 Millionen Bürger durch 200.000 Stasi-Mitarbeiter flächendeckend funktionieren sollte?

Miteinander reden

Es gab schlimme Schicksale, das will niemand bestreiten. Aber es gab auch Menschen, die sich anpassten und ihr Leben lebten. Weil es für sie okay war oder weil ihnen nichts anderes übrig blieb. Diese Menschen dürfen heute nicht sagen, dass sie in der DDR glücklich waren. Dann „verklären“ sie den Unrechtsstaat und wünschen sich die Diktatur zurück.

Genauso wenig sind sie rechtsextrem, weil sie die AfD wählen. Einige von ihnen haben einfach nur die Ampel abgewählt, weil sie in einer parlamentarischen Demokratie mit der CDU als Wahlsieger die Ampel wiederbekommen. Einige haben das Wahlprogramm der AfD gelesen und für gut befunden. Ihr gutes Recht!

Kommentare auf Facebook, der Büchertisch mit den Mainstream-Werken und Journalisten wie die westdeutsche Bettina Schausten werden die Menschen im Osten nicht ändern. Sie bleiben anders. Das hat der Westen zu akzeptieren.

Die Spaltung des Landes ist bedenklich. Wenn der Riss nicht noch tiefer werden soll, wäre es gut, den Menschen im Osten endlich einmal zuzuhören. Das ist ganz einfach und braucht keine IQ-Messung, keine Mauer und kein Aufbäumen gegen rechts. Miteinander reden! Der Schlüssel zu einem wiedervereinten Deutschland.

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