Dubai-Influencer: Reels und Storys aus dem Paradies
Dubai scheint seit einigen Jahren ein wahres Paradies für Influencer zu sein. Es gibt Stars, Sternchen und ganze Familien, die sich für eine Auswanderung entschieden haben. Natürlich medienwirksam, mit bunten Bildern auf Instagram oder perfekt inszenierten Videos auf Youtube oder TikTok. Ich möchte die Reels und Storys ständig hinterfragen. Vielleicht liegt es daran, dass ich einer anderen Generation angehöre. Was ist das für eine Welt, die uns die Influencer jeden Tag zeigen? Ist es das wahre Paradies oder doch nur schöner Schein? Und welchen Nutzen ziehen die Follower aus den Geschichten?
Ein Ausflug in die Welt der jungen Generation
Jetzt ist der Zeitpunkt für mein persönliches Outing gekommen: Dubai-Influencer sind mir ein Begriff, ich „folge“ zwei deutschen Familien, die ihre Zelte in Deutschland abgebrochen haben und täglich von ihrem Leben in Dubai berichten. Das tue ich aber nicht, um Produkte zu kaufen und Kommentare mit ganz vielen Herzchen á la „Ihr seid eine so tolle Familie!“ zu verfassen. Der Grund ist ein anderer: Ich möchte ein bisschen Bescheid wissen über das, was meine Kinder und Enkelkinder so auf ihrem Smartphone anschauen. Und meine Meinung sagen, wenn die Sonne über der Scheinwelt allzu offensichtlich strahlt.
Von Beruf Influencer
Vor einigen Tagen erklärte ich meiner Mutter – sie hat ihren 80. Geburtstag bereits hinter sich gelassen – was ein Influencer ist. Ich glaube, es war für sie ein wenig schwer zu verstehen. Dabei gehört meine Mutter zu den Menschen ihrer Generation, die im Supermarkt mit Karte zahlen, im Onlinebanking ihre Überweisungen erledigen und auf dem iPhone via WhatsApp kommunizieren. Onlineshopping: Ja, sehr gern. Aber beim Thema Influencer stieß ich auf ihr Unverständnis. „Was machen diese Leute den ganzen Tag und warum schaust du dir sowas an?“
Das ist eine gute Frage. Meine Generation legte Kassetten in den Recorder und klingelte bei den Freunden an der Haustür. Heute bekomme ich eine WhatsApp: „Oma, bist du zu Hause?“ Oma will nicht hinter dem Mond verschwinden, also folgt sie einigen Storys aus Dubai und liest die begeisterten Kommentare der Fans mit einem Kopfschütteln.
Ich wäre ein Hater, sagte mein Sohn zu mir. Ich müsse Influencern entfolgen, wenn ich ihre Storys nicht mag. Muss ich das wirklich? Diese Aufforderung ist oft zu lesen, unter kritischen Kommentaren. Ist Kritik unerwünscht? Sind die Follower wirklich so entzückt von allem, was ihnen geboten wird? Tut ihnen der Luxus gut, den sie jeden Tag vorgesetzt bekommen? Schauen wir uns einige Inhalte doch mal genauer an.
Ich bin nicht neidisch!
Kritik wird in den Welten von Social Media häufig mit Neid gleichgesetzt. Es könnte gut sein, dass dieser Artikel einige kritische Passagen enthält. Deshalb möchte ich mich vorab erklären: Ich bin nicht neidisch, nicht mit meinem Leben unzufrieden, nicht frustriert. Ich könnte es mir nicht leisten, nach Dubai auszuwandern. Deshalb bin ich keineswegs traurig: Ich liebe zwar das Meer und Dubai soll einige schöne Strände haben. Aber das war es auch schon.
Shopping, Essen gehen, ein Pool und Besuch mit Anmeldung
Shopping in großen Malls ist gar nichts für mich. Wolkenkratzer auch nicht. Die geräumigen Villen der Influencer mit den kleinen Randstreifen, genannt Garten, in denen künstliche Pflanzen blühen, stiften auch keinen wirklichen Neid. Wenn ich mich anmelden muss, um meine beste Freundin zu besuchen, weil sie in einer anderen „Community“ lebt, bin ich raus. Als Kind der DDR brauche ich in meinem Bewegungsdrang keine Einschränkungen mehr.
Die schönen amerikanischen Küchen mit der Kochinsel könnten meine Begehrlichkeiten wecken. Aber warum gehen die Influncer ständig essen und nutzen ihre Hyperküche kaum?
Dann gibt es noch den „echten“ Pool, mit Fliesen, in die Erde eingelassen. Wir stellen unseren in jedem Frühjahr auf und bauen ihn im Herbst wieder ab. Aber auch das funktioniert!
Vielleicht überzeugt ja mein für einen Follower recht hohes Alter, dass ich fern von Neid mitten in meinem Leben stehe: Gibt es noch mehr Omas, die jungen Dubai-Auswandererfamilien folgen? Wenn ja, bitte melden.
Wüste anstelle von Natur
Ich bin am liebsten draußen. Ich mag lange Radtouren in der Natur, den Wald, die schönen Brandenburger Seen, die Schlösser und Parks und die Kultur. Berlin bietet reichlich davon. All das würde mir fehlen. Ich bin ein absolutes Sommerkind, aber 45 Grad müssen es dann doch nicht sein. Wenn ich den großen Lottogewinn auf meinem Konto verbuchen dürfte, würde ein Haus in der Provence, in Katalonien oder in Holland in mein Eigentum übergehen. Dubai wäre keine Option. Und nun hoffe ich, erfolgreich von meinem Neid abgelenkt zu haben.
Dubai – das Steuerparadies für Influencer
Woher kommt die Sehnsucht nach Dubai? Liegt es an den Stränden, den milden Temperaturen oder an den Einkaufsmöglichkeiten? Oder spielt doch das Geld eine Rolle?
Während des Corona-Lockdowns im Jahre 2021 nahm sich Jan Böhmermann, bekannt als Entertainer und Satiriker, der Frage an, warum so viele Stars und Sternchen nach Dubai auswandern. Als Antwort auf die Frage präsentierte er ein Steuerparadies, das im Vergleich zu Deutschland mit zahlreichen Vergünstigungen lockt. Wer hierzulande gut verdient, zahlt einen Einkommensteuersatz von 42 Prozent. Hinzu kommen die Kosten für die Sozialversicherungen, sodass bei uns weit mehr als die Hälfte des Einkommens abgeführt werden muss. Bei den hohen Einkommen, die Influencer mit Millionen Follwern erzielen, ist Steuerfreiheit schon sehr verlockend.
Positive Berichterstattung als Gegenleistung
Es mag kein Influencer offen zugeben, aber es fällt schnell auf, dass das Leben in dem Wüstenstaat ausschließlich positiv ist. Es gibt keine Ärgernisse, keinen Frust, keinen stressigen Alltag. Das Leben ist bunt, leicht, unbeschwert und voller schöner Momente. Ist das Zufall oder muss das so sein?
Immerhin gibt es das offiziell nie bestätigte Gerücht, dass sich die Influencer zu einer positiven Berichterstattung über den Wüstenstaat verpflichten müssen. Da es keine negativen Bilder gibt und Themen wie Politik oder Gesellschaft komplett ausgespart werden, spricht nichts gegen einen Deal: Günstige Steuern gegen tolle Bilder. Aber es bleibt ein Gerücht, dem ich mich gern anschließe.
Die immer gleichen Bilder
Folge Influencern, die in Dubai leben, und du siehst immer die gleichen Bilder! Shopping in riesigen Malls, Frühstück oder Abendessen in luxuriösen Restaurants, Indoorspielplätze für die Kleinsten, Hotels, Strände und die Community: Zuwanderer und Einheimische leben in Dubai nicht miteinander, sondern in sauberer Trennung voneinander. Die Communitys sind Auswanderern vorbehalten. Wie und wo die Emirates leben, erfährt der interessierte Follower leider nicht.
Dass sich die Bilder so stark gleichen, hat sicher noch einen anderen Grund: Dubai hat eine im Vergleich mit Berlin geradezu winzige Fläche. Legt man die Grenzen des Emirats mit denen unserer Hauptstadt übereinander, bewegen wir uns bezüglich der Größe in Berlin-Mitte. Ich frage mich oft, wie all die Attraktionen, Hotels, Schulen, Kitas und Communitys auf diesem kleinen Raum Platz finden.
Deutsche Familien in Dubai
Ich werde keine Namen nennen, denn ich möchte keine Werbung für irgendwen machen und keine Post vom Anwalt bekommen. Wer in der Welt der Dubai-Influencer zu Hause ist, weiß vielleicht, von wem ich spreche. Aber eigentlich ist es unerheblich: Die Bilder in den sozialen Medien gleichen sich wie einem Ei dem anderen. Fast, jedenfalls.
Bei einer Familie ist der Pool groß, die andere muss sich mit einem aufblasbaren Plantschbecken begnügen. Beide leben in einem Haus, mehr oder weniger wunderschön, das viel Fläche bietet. Die unterschiedliche Qualität der Bauten wurde bei einem heftigen Unwetter deutlich: Bei einer Familie regnete es im frisch renovierten Haus Sturzbäche. Bei der anderen waren eine Zimmerdecke und ein Fensterbereich ein wenig nass.
Es ist offensichtlich, dass es bei Dubai-Auswanderern einen unterschiedlichen Lebensstandard gibt. Der Follower erkennt es nicht nur an der Größe des Pools, sondern auch an der Umgebung. Himmlische Ruhe in einem Garten, Verkehrslärm neben der gemütlichen Sitzgruppe im anderen. Das beide Gärten so wunderschön sind, versteht sich von selbst.
Alltag perfekt in Szene gesetzt
Schauen wir hinter die Türen der Influencer-Familien. Wir sehen ein Haus, jederzeit perfekt dekoriert und aufgeräumt, mit wohlerzogenen Kindern, von denen wir nur die Kehrseite sehen. Sie sollen nicht im Netz gezeigt werden, aber auch nicht ganz aus den Storys verschwinden.
Mamas häufigster Satz lautet: Schaut mal, wie wunderschön es hier ist. Dabei fällt der Blick auf den beleuchteten Burj Khalifa, auf eine künstlich angelegte Oase in der Community oder auf einen Hotelgarten mit Sky-Pool.
Das Familienleben ist harmonisch und perfekt durchorganisiert. In der blitzsauberen Küche wird fleißig gekocht und gebacken: Wenn die Story beginnt, ist alles fertig geschnitten und vorbereitet. Nirgendwo Abfall oder ein Krümelchen.
Körperliche Fitniss und gesunde Ernährung bestimmen den Tag. Dabei werden Frühstück und Abendessen meistens auswärts eingenommen. Werbung für eigene Firmen und für Kooperationen dürfen nicht fehlen. Und mehrmals täglich zeigt der Blick in den Spiegel, dass alles perfekt sitzt: Haare, Figur, Nägel, Make-up, Outfit. Fertig gerichtet, beginnt der Alltag zwischen Laptop, Essen, Shoppen und den Kindern, die brav im Tisch sitzen, malen und basteln oder im Kinderzimmer mit dem Puppenhaus spielen.
Wenn das Chaos das Leben regiert
Die Dubai-Bilder sind identisch, die Storys dahinter nicht. Bei der anderen Familie würde ich gern wissen, ob die Mutter überhaupt merkt, was sie ihrem Gefolge anbietet. Da in den Reels und Storys das Chaos regiert und kein Stein und den anderen passt, bin ich neugierig, wie das Dubai-Experiment ausgeht. Mama und Papa haben ja den ganzen Tag wichtige Termine. Wo und mit wem auch immer. Bald sehen die Follower das große Ding. Ganz bald.
Zu Hause sieht der Betrachter den Alltag vom zerfetzen Toilettenpapier im Badezimmer bis zur blutenden Wunde an der Stirn des Kindes, das am liebsten im Schlafanzug auf den Spielplatz läuft, weil es keine Lust hat, sich anzuziehen. Mamas Lieblingsbeschäftigungen sind Wäsche waschen, am Laptop arbeiten und der Gefolgschaft zeigen, wie schön die Zimmer in ihrem Haus aussehen.
Aus dem Alltag eines Influencers
Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune, ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt.
Pippi Langstrumpf. Text im Originalvon Adstrid Lindgren
Die Geburt eines Kindes
Millionen Frauen bekommen Kinder. Jeden Tag. Es ist die natürlichste Sache der Welt. Doch wenn eine Influencerin im Sommer in Dubai Mutter wird, ist alles ein bisschen anders. Über Monate bekamen die interessierten Follower jeden Tag Inszenierungen des wachsenden Babybauchs zu sehen. Es war die perfekte Schwangerschaft mit der perfekten Bauchgeburt – zu Deutsch: Wunschkaiserschnitt – , dem perfekten Kind und der perfekten Kuschelzeit danach.
Viele Follower freuten sich auf das Baby und darauf, es kennenzulernen. So stand es in den Kommentaren. Doch sie warteten leider umsonst auf das erste Babyfoto. Hände und Füße wurden präsentiert, wie es üblich ist, in der Welt der Influencer. Große Enttäuschung, nach monatelangem Warten. Es gab leider vorab keine Info, dass das Baby nicht gezeigt werden wird. Aber so konnten das selbst entwickelte Massageöl gegen Dehnungsstreifen und die Babypflegeprodukte erfolgreich vermarktet werden. Die Ankündigung, dass die Babybilder privat bleiben, hätten so manchem Follower den Kauf der Produkte vielleicht verhagelt.
Es schläft den ganzen Tag
Nach der Bauchgeburt konnte Mama an Tag Nummer drei nach Hause gehen. Keine Schmerzen, das Laufen klappte gut, die engen Leggings und das bauchfreie Oberteil saßen. Perfekt geschminkt und gerichtet im Wochenbett, begann die Kuschelzeit auf der Couch. In den Kommentaren war von Kaiserschnitterfahrungen ganz anderer Art die Rede. Aber diese Geburten fanden im realen Leben in einem deutschen Krankenhaus statt.
Ein Satz aus der ersten Woche nach der Geburt ist mir in Erinnerung geblieben.
Es schläft den ganzen Tag. Ich habe gar nichts zu tun, also beginne ich wieder zu arbeiten und erledige einige Calls.
Was ist mit der Wäsche, mit dem Haushalt, mit der Betreuung der älteren Kinder? All die Dinge muss die Normalo-Mama trotz Kaiserschnittnarbe erledigen.
Apropos: Natürlich wurde die perfekte Figur präsentiert. Dabei dreht sich Mama vor dem Spiegel hin und her. Bald geht der Sport wieder los, aber das ist jetzt noch nicht erlaubt.
Was empfinden Mütter, bei denen alles ein bisschen anders ist? Nicht jede von ihnen bekommt den Kaiserschnitt in einer Privatklinik, nicht jede hält ein gesundes Baby im Arm, nicht jede mag sich ein paar Tage nach der Geburt vor dem Spiegel drehen. Und nicht jede hat Zeit, sich am Morgen zu schminken und die Haare schick zum Dutt zu drehen. Schon gar nicht, wenn weitere Kinder zu betreuen sind.
Working Mum
Ein Reel hat sich in meinem Kopf eingebrannt: Working Mum sitzt am chaotischen Schreibtisch, den Laptop vor sich, das Kind im Kindergartenalter auf dem Schoß. Und behauptet allen Ernstes, das dieser Ausschnitt aus ihrem Leben den Alltag abbildet.
Nun erfährt ja keiner, was diese Working Mum arbeitet. Was sind das für Partner oder Kunden, denen eine Mutter im Videocall ein Kind mit zerzausten Haaren im Schlafanzug gähnend und quengelnd auf ihrem Schoß präsentiert? Da sie sich gegen den Kindergarten entschieden hat, muss sie Arbeit und Betreuung unter einen Hut bringen. Und dabei hat sie offenbar sehr nachsichtige Partner/Mitarbeiter/Kunden. Was denken echte „Working Mums“ über eine solche Story? Dürfen sie sich ihrem Chef so im Homeoffice präsentieren?
Erstmal ins Gym
Der perfekte Body ist ein absolut zentrales Thema. In unzähligen Reels und Storys wird die perfekte Victoria-Beckham-Pose sich vor dem Spiegel präsentiert. Mit selbstverliebten Blick, versteht sich.
Morgens, nach dem Aufstehen, geht es erstmal ins Gym. 45 Minuten Training, von nichts kommt schließlich nichts. Das Gym befindet sich im Haus und hat alles, was das Sportlerherz begehrt. Nach dem Training folgt das gesunde Essen. Es steht in der Küche fertig zubereitet oder wird in einem Restaurant eingenommen. Als Abwechslung zum Gym werden Bahnen im eigenen Pool geschwommen. Und dann gibt es neue Fotos von der perfekten Figur. Dieses Mal im knappen Bikini.
Was machen diese Geschichten mit jungen Frauen von heute, die zwischen Windeln, Haushalt, älteren Kindern und einer Selbstständigkeit leben und alles unter einen Hut bringen müssen? Meistens ist der Mann ja nicht den ganzen Tag griffbereit, sondern er arbeitet.
Und was macht es mit jungen Frauen, die nach der Schwangerschaft ihren perfekten Body nicht zurückbekommen? Weil ihnen mit mehreren kleinen Kindern einfach die Zeit fehlt, ins Gym zu gehen oder jeden Tag große gesunde Salatteller aus frischen Zutaten zuzubereiten?
Viele der jungen Mütter müssen ihre Kinder früh wecken, anziehen, mit ihnen frühstücken und sie dann in die Kita bringen, immer mit dem Blick auf die Uhr, weil sie pünktlich am Arbeitsplatz erscheinen müssen. Denken Influencerinnen in ihrem Paradies darüber nach, wenn sie vom Gym zum frischen Salatteller wechseln, nicht ohne ihre Figur zwischendurch ausgiebig im Spiegel betrachtet zu haben? Schließlich leben sie doch von ihren Followern, von denen die wenigsten ein so privilegiertes Leben führen dürften.
Von verunglückten Kooperationen
Influencer leben bekanntlich von Kooperationen, die sie mit Werbepartnern eingehen: Je größer die Gemeinde der Follower, desto wertvoller die Zusammenarbeit. Das ist völlig in Ordnung und manchmal sogar interessant. Auch wenn ich mich selbst von den Artikeln nicht angesprochen fühle, weil ich nicht zur Zielgruppe gehöre, finde ich die Präsentation oft gelungen. Talent und Ideenreichtum sind gefragt. Doch nicht jeder ist dafür geeignet. Es gibt Präsentationen, bei denen ich mich gefragt habe, ob die Partner nicht ebenso den Kopf schütteln wie ich.
Ich vermisse meinen Hund
Die Influencerin verbringt ihren Sommerurlaub in Deutschland. In Dubai ist es zu heiß. Zumindest für Frauchen, Herrchen und die lieben Kinderchen. Der Familienhund bleibt in Dubai bei einer Gastfamilie. Wochenlang, da der Aufenthalt in Deutschland spontan verlängert wurde. Er muss die Hitze aushalten oder in der klimatisierten Stube verweilen.
Derweil sitzt Frauchen mit Leidensmiene in Deutschland am Tisch und klappt ihren Laptop auf. Ganz zufällig ist ein Video vom Vierbeiner geöffnet. Die Gastfamilie hat es wohl gerade geschickt. Sie schaut ihre Fellnase verliebt an. Ach, wir vermissen dich so sehr. Zum Glück haben wir dich krankenversichert. Das ist so wichtig, für Hunde, die nicht mit in den Urlaub dürfen. Selbstverständlich wird die Versicherung genannt, für gut befunden und verlinkt. Interessanter Fact: Einige Follower sind anderer Meinung. Und was zahlt eine deutsche Versicherung, wenn der Hund in Dubai lebt?
Working Mum ist müde
Die Influencerin bezeichnet sich selbst als Working Mum und muss am Laptop verschiedene Arbeiten erledigen, die nicht genauer beschrieben sind. Da sie ihre Kinder nicht in der Kita anmelden möchte, trägt sie eine Doppelbelastung. Dies führt offenbar zu chronischer Müdigkeit.
Mitten am Tag überfällt Working Mum in unregelmäßigen Abständen eine so starke Müdigkeit, dass sie sich sofort ins Bett legen muss. Auf eine Matratze, mit deren Hersteller sie kooperiert. Wo die Kinder während des Tagesschlafs betreut werden, bleibt unklar. Aber es geht ja nicht um die bleierne Müdigkeit, sondern um Werbung. Wobei sich der geneigte Zuschauer vielleicht fragt, was der Matratzenhersteller zu so plumpen Methoden sagt?
Jeder sollte 2.500 EUR in eine Immuntherapie investieren
Immuntherapien werden unter anderem bei der Behandlung verschiedener Krebserkrankungen eingesetzt. Es ist aber auch möglich, eine solche Therapie als Prophylaxe zu bekommen. Diese muss selbst bezahlt werden.
Bei der Werbung für eine Privatklinik, die derartige Therapien für Selbstzahler anbietet, rutschte der Influencerin der Satz raus, dass 2.500 EUR viel Geld wären. Aber die sollte doch jeder für die eigene Gesundheit aufbringen können. Weil die Killerzellen so furchtbar wichtig sind. Diese Story erschien mehrere Tage hintereinander und wurde in den Highlights abgelegt.
Storys zum Fremdschämen
Nicht nur die Präsentation von Produkten hat Fremdschämcharakter: Auch einige Storys rufen nicht nur bei mir Kopfschütteln hervor. Beim Lesen der Kommentare gibt es so manche kritische Meinung. Die aber gern von den Fans an die Wand geredet wird.
Da kommt die Krücke
Der Ehemann der Influencerin musste operiert werden. Eine geplante OP, die nicht in Dubai, sondern in Deutschland durchgeführt wurde. Danach benötigte der Gatte Gehhilfen. Seine Frau beklagte sich in nahezu jeder Story über das Kofferschleppen: Trotz der eingeschränkten Mobilität des Vaters pendelte die Familie während ihres mehrwöchigen Deutschlandaufenthalts quer durch das Land. Vom nördlichsten Bundesland über Bayern und Baden-Württemberg nach Österreich und NRW.
Das Ziel der Reisen war unklar, wie so vieles in der Familie. Aber Koffer mussten geschleppt werden. Der Ehemann humpelte an seinen Krücken hinterher, was seine Frau zu dieser Bemerkung veranlasste: „Hier kommt die Krücke.“ Das fanden zahlreiche Follower wenig nett. Alternativ war Fremdschämen angesagt.
Es ist so kalt in Deutschland
Die Klagen über die Kälte während des Hochsommers in Deutschland sind einfach nur peinlich. Vor allem dann, wenn der Follower weiß, dass die Influencerin als junge Frau Wintersport betrieben hat.
Mich wundert es gar nicht, dass die Followerzahlen dieser Influencerin langsam, aber stetig sinken.
Kritik? – Nein, danke!
Nun könnte man meinen, dass es für solche Storys Kritik hagelt. Aber Fehlanzeige. Herzchen und Applaus wechseln sich unter den Beiträgen ab mit Sympathiebekundungen. Ab und zu flammt Kritik auf. Doch die wird sofort niedergeschmettert. Die Familien können machen, was sie wollen, und leben, wie es ihnen passt. Natürlich können sie das. Doch wer sein Leben zur Schau stellt und die Kommentarspalten öffnet, muss auch mal mit Kritik rechnen. Oder nicht?
Nein, Kritik ist unerwünscht. Wer den Beitrag nicht super findet, möge doch bitte sofort entfolgen. Oder er ist neidisch, frustriert und hat nichts, in seinem Leben. Denken die Follower wirklich so oder sind das Moderatoren, die auf derartige Kommentare abonniert sind? Das Löschen unerwünschter Kommentare fiele ja auf.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine große Fangemeinde geschlossen toll findet, wie sich die eine Influencerin mit ihrem perfekten Body ständig vor dem Spiegel dreht und die andere ihr tägliches Chaos, gespickt mit Werbung und lädierten Kindergesichtern, als tolles Leben verkauft. Aber es ist, wie es ist: Wer kritisiert, ist unerwünscht.
Wenn Influencer Unmut erzeugen
Es ist ein Phänomen, in dem der Betrachter Gefahr läuft, sich zu verlieren. Nämlich dann, wenn er in seinem Leben wirklich unzufrieden ist. Weil die Zeit zwischen Achtstundenjob, Arbeitsweg und Haushalt nicht fürs Gym reicht. Weil gesundes Kochen teuer ist und Zeit kostet: Selbst einkaufen und schnippeln ist angesagt. Vielleicht haben sich nach der Schwangerschaft einige Pfunde auf den Hüften gesammelt und das Baby schläft nicht den ganzen Tag.
Das perfekte, zur Schau gestellte Leben kann Frust auslösen. Es ist nicht der Neid, der Kritik vorruft. Es ist die Gewissheit, dass uns die Influencer eine irreale Scheinwelt präsentieren. Gerade in Dubai, einem Land, in dem es um die Menschenrechte nicht so gut bestellt ist. Aber das ist ein anderes Thema.
Influencer sind ein Teil unserer digitalen Welt. Wer ihnen folgt, sollte immer im Auge behalten, dass sie niemals die reale Welt abbilden. Schon gar nicht in Dubai. Ich kann mir vorstellen, dass es schwer ist, als junge Mutter solch paradiesischen Zustände nach der Geburt eines Kindes vorgesetzt zu bekommen. Vor allem dann, wenn das eigene Baby viel weint, wenn Geschwisterkinder eifersüchtig sind und wenn der After-Baby-Bauch einfach nicht wieder flach werden will.
Auf Teufel komm raus Geschichten erzählen
Bei der selbsternannten Chaosfamilie beschleicht mich das Gefühl, dass die Existenz von den erzählten Geschichten abhängig ist. Die müssen spektakulär sein, um die Follower bei Laune zu halten. Was rauskommt, ist unglaubwürdig, unverständlich und oft auch unsympatisch.
Das baufällige Haus, das über Monate saniert werden musste – bevor es in Strömen durchregnete – wurde als „echtes Schätzchen“ verkauft, das „erst zum Leben erweckt“ werden musste. Im Sommerurlaub, der aufgrund der Hitze in Deutschland verbracht wurde, war der wichtigste Inhalt, dass Oma die Wäsche der Familie wäscht. Die reiste ja wochenlang quer durch Deutschland. Warum und weshalb? Das wurde nicht kommuniziert.
Was auffällt: Eine Familie muss mit einer mittleren sechsstelligen Followerzahl auskommen, die im unteren Bereich angesiedelt ist. Andere haben die Millionengrenze längst überschritten. Vielleicht werden die Storys entspannter und unterhaltsamer, wenn das verdiente Geld nicht mehr so stark im Focus steht.
Ein Blick in die Zukunft
Was werden die Dubai-Influencer in zehn Jahren machen? Zeigen sie ihren Followern dann immer noch Bilder von Malls, Stränden und künstlich angelegten Parks? Trainieren sie ihre perfekte Figur noch im Gym oder sind ein paar Pölsterchen hinzu gekommen? Mit erwachsenen Kindern gehen die Inhalte. Welche Neuen kommen hinzu, aus dem nicht allzu großen und abwechslungsreichen Dubai?
Auch die Follower werden älter. Bleiben sie treue Begleiter der Familien und werden gemeinsam alt? Kommen junge Follower nach? Oder platzt die Blase, weil die Storys ausgehen? Ziehen sich die Influencer zurück, weil sie ausgesorgt haben?
Vielleicht bleibe ich ja stiller Beobachter eines Phänomens, das ich nicht verstehe. Ich schaue mir die Storys an. Aber ich lasse mich von ihnen nicht beeinflussen. Ich kaufe nichts von dem, was dort angeboten wird. Mein Leben bleibt das Gleiche, meine Figur hat sich nicht verändert und ich setze keine Herzchen unter die Storys.
Mein Sohn erklärte mir, dass ich die Influencer mit jedem Klick auf die Story oder das Reel unterstütze. Okay, damit kann ich leben. Aber dass es Menschen geben soll, die den Influencern ihr Paradies auf Erden und ihre heile Welt abkaufen, das verstehe ich nicht. Den Followern wünsche ich, dass sie die Scheinwelt erkennen und sich von ihr nicht beeinflussen lassen. Wer die Storys anschaut, als wären sie ein Film mit einer Handlung, die sich so niemals zugetragen haben kann, der hat alles richtig gemacht.