Influencer sperrt Follower – die heile Welt einer Eiskunstläuferin
Eine Influencerin sperrt einen Follower. Mich! Das ist gemein, ich war ein Fan der ersten Stunde! Alles begann mit dem Eiskunstlaufen: Ich liebe es, seit ich ein kleines Mädchen bin. Heute ist es möglich, einem einstigen Kufenstar auf Social Media ganz nah zu kommen. Eine Athletin aus den 1990er-Jahren ist heute als Content Creatorin tätig. Sie war einmal Soap-Darstellerin, hat ein Buch geschrieben und erzählt nun aus ihrem Familienleben. Ich fand sie immer irgendwie toll und folgte ihr mehrere Jahre. Doch dann wurden die Storys immer fragwürdiger. Ich habe mich zum Kommentieren verleiten lassen und wurde prompt gesperrt. Nun geistert eine Frage in meinem Kopf herum: Ist die schöne Welt der Influencer nicht mehr als ein schöner Schein?
Es begann mit dem Eiskunstlauf
Ich ging noch in den Kindergarten, als ich eine Leidenschaft für den Eiskunstlaufsport entwickelte. Leider hatte ich nie die Möglichkeit, den Sport zu trainieren. Ich war nie klein, zierlich und gelenkig. Als Größte der Klasse musste ich hinten sitzen. Das änderte sich erst, als die Jungs in die Pubertät kamen. Doch ich saß gebannt vor dem Fernseher und staunte über die Pirouetten, die Sprünge und die tollen Tänze, die Paare auf das glatte Eis zauberten.
Das Grundstück, auf dem mein Elternhaus stand, grenzte ans Wasser und wir hatten noch kalte Winter. Die Havel fror zu. Ich zog mir einen langen Strickpullover in Kombination mit einer Trainingshose an. Das war mein Kleid. Papa befreite eine rechteckige Fläche vom Schnee. Ich hatte meine Bühne und war der Star auf dem Eis. Pirouetten konnte ich drehen. Und auch einen einfachen Sprung zeigen. Gemeinsam mit Freunden veranstalteten wir Wettkämpfe. Jeder war einmal der Sieger.
Als Kind der DDR fieberte ich Jahr für Jahr mit Katharina Witt mit. Dann wuchs Deutschland zusammen und es gab weitere Stars, die Medaillen holten. Ich möchte keinen Namen nennen, weil die schöne Geschichte nicht so schön endet. Ich denke, das ist auch nicht notwendig: Wenn du dich ein bisschen auskennst, in der Welt der Stars und verblassten Sternchen, weißt du, wen ich meine. Aber eigentlich ist es auch egal. Ich denke, meine Erfahrung mit der Influencerin ist austauschbar.
Wenn die Anzahl der Follower sinkt
Ein bisschen habe ich mich mit der Welt der Influencer verloren. Kraft meines hohen Alters gehöre ich eigentlich gar nicht zur Zielgruppe. Doch ich habe Kinder und Enkel, und ich möchte nicht irgendwo hinter dem Mond versinken und fragend in die Runde schauen, wenn die junge Generation erzählt, welcher Follower gerade besonders angesagt ist.
Auf meinem privaten Instagram-Account folge ich etwa 70 Stars und Sternchen. Nicht jeden Tag und ich konsumiere auch nicht jede Story. Zu meinen persönlichen Favoriten gehören neben der Eiskunstläuferin zwei weitere Accounts, auf denen ich regelmäßig vorbeischaue. Die anderen rufe ich nur gelegentlich auf.
Nun hat mich die Eiskunstläuferin gesperrt. Vermutlich macht sie davon häufiger Gebrauch: In den vier Jahren meiner treuen Bereitschaft, alle Storys und Werbeeinblendungen anzuschauen, sank die Anzahl der Follower um etwa 40.000. Ob das bei anderen Influencern auch so ist, kann ich nicht beurteilen. Seit meiner Sperre, die jetzt etwa sechs Wochen her ist, verlor sie wieder 1.000 Follower.
Die Follower bestimmen den Verdienst
Wer sich mit der Welt der Influencer ein bisschen beschäftigt, weiß, dass mit ihren Followern einen Verdienst erwirtschaften. Vier Typen von Influencern gibt es. Diese definieren sich nach der Anzahl der Menschen, die bereit sind, sich die Reels und Storys anzuschauen: Ab 1.000 Follower darf man sich Nano-Influencer nennen. Ab 10.000 Micro, ab 100.000 Macro und ab einer Million Mega. Nun möchte jeder Mega sein und vom Influencing leben können. Denn mit der Anzahl der Follower steigt auch der monatliche Verdienst.
- Nano-Influencer: 10 bis 60 EUR
- Micro-Influencer: 200 bis 2.300 EUR
- Macro-Influencer: 1.500 bis 10.000 EUR
- Mega-Influencer: ab 15.000 EUR
Die Zahlen habe ich einem Artikel von Indeed entnommen. Wer von dem Einkommen als Influencer sehr gut leben möchte, sollte die Million überschreiten. Follower zu sperren, muss man sich leisten können. Die Eiskunstläuferin leistet es sich und bezahlt mit einem Scheitern, dass sie sich nicht eingestehen möchte. Die Follower schwinden, die Kommentare unter den Reels werden immer bissiger. Zu Recht, wie ich meine. Aber beginnen wir von vorn.
Die Karriere nach der Karriere
Die große sportliche Karriere blieb Tanja Szewczenko verwehrt. Drei Siege bei Deutschen Meisterschaften, ein dritter Platz bei Europameisterschaften und eine Bronzemedaille bei Weltmeisterschaften sind schon achtbare Erfolge. Doch ein internationaler Titel fehlte. Und damit wohl die Möglichkeit, nach der Karriere mit dem Sport ein Einkommen zu erzielen, von dem das Leben bestritten werden kann.
Schauspielerin, Mutter und Buchautorin
Nach ihrem Rücktritt im Jahre 2001 lief Tanja Szewczenko einige Eislaufshows. Dabei trat sie auch gemeinsam mit ihrem heutigen Ehemann, dem ehemaligen Paarläufer Norman Jeschke auf. Ab 2006 spielte sie die Diana Sommer in der RTL-Soap „Alles was zählt“. Sie verkörperte die Rolle drei Jahre lang bis 2009 und kehrte im Jahre 2016 noch einmal für zwei Jahre zurück. Dann bekam sie in der Serie ein tolles Jobabgebot in Las Vegas. Tatsächlich wurde ihr Vertrag nach eigenen Angaben nicht mehr verlängert.
Sie spielte einige Nebenrollen im Fernsehen, war in Shows zu sehen und zog sich für den Playboy aus. Nebenbei baute sie sich eine Karriere als Influencerin auf Instagram auf. Dort behandelte sie ein sensibles Thema: Den unerfüllten Kinderwunsch. Nach der Geburt ihrer Tochter im Jahre 2011 klappte es nicht mit einem zweiten Kind. Nach mehreren Fehlgeburten und einer Kinderwunschbehandlung bekam sie 2021 Zwillingssöhne. Über diese Zeit schrieb sie ein Buch, das anderen Frauen nach eigener Aussage Mut machen sollte.
Ich habe „Alles was zählt“ geschaut, bis Tanja Szewczenko 2009 ihren Abschied eingereicht hatte. Bei Let’s Dance 2014 tauchte sie wieder auf, ab 2020 folgte ich ihr auf Instagram. Ihre Storys aus dem Haus bei Köln unterschieden sich von der Glitzerwelt aus den anderen Wohnzimmern der Influencer. Sie waren so herrlich normal. Das hat mir gefallen. Ich habe ab und zu auf ihre Storys geantwortet und einmal sogar eine Rückmeldung bekommen: Sie und ihr Ehemann Norman würden gar nicht mehr auf dem Eis stehen. Das fand ich, der alte treue Fan, sehr schade.
Mit Dubai begann der Abschwung
Nach der Geburt der Zwillingsjungs im Jahre 2021 blieben die Storys erfrischend. Der Ehemann arbeitete im Immobiliengeschäft, Mama war zu Hause, kümmerte sich um die Kinder, den Haushalt und die Kooperationen. Dann kam im Frühjahr 2023 die große Neuigkeit: Nachdem die Familie ihr Haus in Köln mit verschiedenen Kooperationen schick renoviert hatte und die ältere Tochter auf das begehrte Gymnasium wechseln konnte, hieß es plötzlich: Wir wandern nach Dubai aus.
Gesagt, getan: Das Haus bei Köln wurde verkauft und in ein sanierungsbedürftiges Heim in Dubai eingetauscht. Es war ein „Schätzchen, das man aus dem Dornröschenschlaf“ wecken muss. Norman, der Immobilienmakler, weiß, was er tut.
Die Familie lebte monatelang aus dem Koffer und in einer Behelfswohnung, bis das neue Haus endlich bewohnbar war. Dann kam ein großes Dubai-Unwetter, Regen prasselte durch das undichte Dach und weitere Reparaturarbeiten wurden notwendig.
Wenn das Chaos regiert
Dass die Familie im Chaos lebt, gibt die Influencerin selbst zu. Einige Details aus dem Leben habe ich in meinem Artikel über zwei Dubai-Influencer zusammengefasst: Darin geht es um die Fassade, die uns Follower bei Laune halten soll. Einige Influencer machen das ja sehr professionell und auch sehr erfolgreich. Bei den Szewczenkos ging es abwärts. Das beweisen nun auch die Followerzahlen, doch auch die Storys wurden immer fragwürdiger.
Ob Kinder in den Reels und Storys gezeigt werden sollten, muss jede Familie selbst entscheiden. Kranke Kinder in die Kamera zu halten, ist ein NoGo. Das finde nicht nur ich: Es wird unter den Reels häufig kritisiert. Es geht niemanden etwas an, schreiben die einen. Wer sich so freiwillig in der Öffentlichkeit präsentiert, muss Kritik aushalten, sagen die anderen. Ich schließe mich der zweiten Meinung an.
Das Chaos aber nicht nur in Bezug auf die Kinderziehung perfekt: Es geht zwischen Deutschland und Dubai hin und her, es gibt viele Projekte, von denen niemand weiß, welche es sind, und es gibt keinen Plan. Ursprünglich wollten die Szewczenkos einen YouTube-Kanal eröffnen, auf diesem war aber nach wenigen Filmen Schluss. Vielleicht lag es daran, dass Tanja ihrem Mann gern über den Mund fuhr und die Tochter sehr maulig wirkte.
Die Familie wollte Dubai-Auswanderer beraten. Auch daraus wurde nichts. Immerhin gibt es zahlreiche werbende Storys über die schönen Seiten des Wüstenstaates. Dazu zählen Indoor-Spielplätze für mehr als 20 EUR Eintritt pro Kind und Stunde, teure Hotels, ein Schmetterlingspark und andere Vergnügungen.
Wer soll dort Urlaub machen?
Influencer sprechen im Allgemeinen eine Zielgruppe an. Auf diese Zielgruppe wird die Werbung zugeschnitten. Die Influencer gehen Kooperationen ein und verdienen damit einen Teil ihres Geldes. Tanja Szewczenko hat mit der Kinderwunschthematik begonnen: Ihre Storys richteten sich an junge Paare und Familien, die sich ein (weiteres) Kind wünschten. Mit ihrer Geschichte wollte sie Mut machen.
Wenn ich mir die Dubai-Werbeposts angeschaut habe, fragte ich mich immer, an wen sie sich richten. Wir erleben in Deutschland gerade eine Inflation, etliche Pleiten und Insolvenzen, hohe Mieten und Nebenkosten und Gehälter, die nicht so schnell steigen wie die Ausgaben. Wie viele junge Familien können es sich in diesen Zeiten leisten, ihren Urlaub in Dubai zu verbringen?
Ja, es gibt die Follower, die berichten, wie schön die beschriebenen Destinationen sind. Und das sind sie auch wirklich. Nur bleibt die grundlegende Kritik an dem Wüstenstaat nicht aus. Nicht jeder feiert die Auswanderer, die sich gewissen Zwängen unterordnen, um dafür Steuererleichterungen zu genießen.
Jetzt wird es peinlich
Immer wieder habe ich mich beim Fremdschämen ertappt: Die Tochter muss zur Schule gefahren werden und die ganze Familie ist dabei. Die Zwillingsjungs im „Schlafi“, weil es nicht möglich war, sie rechtzeitig zu wecken. So blieb keine Zeit zum Anziehen. Nachdem die Tochter in die Schule war, ging es ungekämmt im Schlafanzug auf den Spielplatz. Kinder dürfen selbstbestimmt aufwachsen. Na gut!
Weniger appetitlich fand ich die Geschichte, bei der berichtet wurde, dass sich einer der Zwillingsjungs im Alter von drei Jahren in einer Röhrenrutsche der Hose und erst der Windel und dann des kleinen Geschäfts entledigte. Okay, das kann mal passieren. Doch der Fokus der Eltern hat mich dann schon gestört: Sie bemühten sich nicht um die Reinigung der Rutsche, sondern zeigten eine wilde Story, in der sie die Hose des Kindes suchten.
Der Umbau der Garage zu einer Wohnung mit zwei Zimmern und eigener Küche für den Besuch war auch etwas merkwürdig. Möchte man nicht die Zeit gemeinsam verbringen, wenn man Tausende Kilometer von den Eltern entfernt lebt? Einmal kam die Mutter aus Deutschland und quartierte sich in der frisch hergerichteten Garage ein. Sie passte auf den Hund auf, während die Szewczenkos auf Kreuzfahrt gingen. Danach fuhr sie wieder nach Hause.
Ein fieser Kommentar gegen eine große Eiskunstläuferin
Als ich noch Followerin sein durfte, erzählte Tanja stolz in einer Story über ihre Eiskaufkarriere, dass sie im Jahre 1994 „sogar Katharina Witt“ bei den Deutschen Meisterschaften besiegt hätte. Das stimmt: Sie wurde Erste, Katharina Witt Zweite. Doch um diesen Sieg werten zu können, musst du wissen, mit welcher Absicht Katharina Witt 1994 in Lillehammer antrat.
Katharina Witt ist die bis heute erfolgreichste Eiskunstläuferin aller Zeiten. Sie startete für die DDR und trat im Jahre 1994 noch einmal für das wiedervereinigte Deutschland an. Sie gewannt achtmal die DDR-Meisterschaften. Sechsmal war sie Europameisterin, viermal Weltmeisterin und zweimal Olympiasiegerin (1984 und 1988). Ihre Olympiakür 1988, in der sie die Carmen verkörperte, ist bis heute legendär.
Nach ihrem Olympiasieg 1988 trat sie vom Leistungssport zurück und lief erfolgreiche Shows in den USA. Von der Führung der DDR bekam sie die Genehmigung, in den Staaten zu arbeiten. Sie nutze die Möglichkeit der Reamateurisierung und qualifizierte sich sechs Jahre später, 1994, noch einmal für die Olympischen Spiele in Lillehammer. Dort belegte sie den siebten Platz.
Über diesen „Rücktritt vom Rücktritt“ sagte Katharina Witt, dass sie ihren Eltern die Möglichkeit geben wollte, die Olympischen Spiele einmal mit ihr gemeinsam zu erleben. Sie wusste, dass sie nicht mehr siegen konnte, weil sich der Eiskunstlauf in den sechs Jahren ihrer Pause zu stark weiterentwickelt hatte. So beherrschte sie nicht alle, für den Sieg notwendigen Sprünge. Ihre Reamateurisierung bereute sie nie und zeigte sich mit ihrem siebten Rang sehr zufrieden.
Die wenigsten Follower von Tanja Szewczenko werden das Eiskunstlaufen und speziell die Karriere von Katharina Witt verfolgt haben. Dazu sind sie schlicht und einfach zu jung. Zudem hat das Eiskunstlaufen schon seit Jahren keine Präsenz mehr, in der Sportwelt. Die Wettkämpfe werden nur noch auf Spartensendern übertragen. Dass Kathi Witt eine große Eiskunstläuferin war, ist hingegen bekannt. Und so kann der Satz „Ich habe Katharina Witt besiegt“ Eindruck schinden. Wer es braucht …
Ich mag die Kälte in Deutschland nicht
Eine Eiskunstläuferin, die nach eigenen Angaben mit zwei Jahren schon auf den Schlittschuhen stand und knapp zehn Jahre als Profi in den Eishallen dieser Welt unterwegs war, mag die Kälte nicht? In nahezu jeder Story wird erwähnt, wie angenehm das Wetter in Dubai wäre und wie unerträglich der Herbst und Winter in Deutschland ist. Andere Influencer schicken uns in Gedanken etwas Sonne. Das hört sich doch freundlicher an, oder?
Die Tochter möchte tanzen
Sommer 2024. Die Familie lebt ein knappes Jahr in Dubai und verbringt nun die Sommerferien in Deutschland. Die Tochter gewann im Jahre 2021 die Show „Let’s Dance Kids“. Drei Jahre später fällt dem Mädchen ein: Ich will professionell tanzen. Die Eltern reist in ihrem Urlaub quer durch Deutschland und Österreich. Man sieht sie bei Tanzturnieren zuschauen und es gibt wieder viele wichtige Termine, von denen der neugierige Follower nicht weiß, worum es eigentlich geht.
Selbstverständlich bestimmen die Influencer selbst, was sie preisgeben möchten und was nicht. Nur kennt man es von Kollegen anders: Sie weisen auf neue Projekte hin, dürfen aber nichts sagen. Ein paar Tage oder Wochen später wird das Geheimnis gelüftet: Es ist die Teilnahme an einem Format oder an einer Show. Ein neues Unternehmen, eine Kollektion des eigenen Labels, ein Kosmetikprodukt, Kochbuch, Podcast, ein Baby, die lang ersehnte Hochzeit. Bei den Szewczenkos ist es nichts von alledem. Die Neuigkeiten verlaufen im Sande.
Die Tanzschule, die für die Tochter perfekt ist, befindet sich in Bremen. Doch die Familie muss zurück nach Dubai. Da ist das Tanztraining teuer. Tanja rechnet vor, dass bei dem professionellen Anspruch, den die Tochter hegt, 3.000 EUR und mehr im Monat zusammenkommen. Nicht nur bei mir erscheinen Fragezeichen in den Augen. Sollte sich eine Familie, die in einer Villa in Dubai lebt und Werbung für Spielplätze mit Eintrittspreisen von 20 EUR pro Stunde und Kind wirbt, nicht 3.000 EUR für das Tanztraining leisten können?
Ein langer Monolog, der in die Tiefe geht
Vielleicht gibt es vom Alltag in Dubai wenig zu erzählen oder die Szewczenkos möchten nicht mehr alles preisgeben: Tanja verliert sich immer häufiger in psychologisch motivierten, endlosen Monologen mit vielen „äh“ und „hm“ und „ja“, die in den Storys verschriftlicht werden. Sie philosophiert über das Tanztraining ihrer Tochter, über ihre eigene Eislaufkarriere und dass man Kinder auf ihrem Weg unterstützen müsse. Etwa zeitgleich gibt sie preis, dass sie eine wichtige Kooperation durch eine Insolvenz verloren hätte.
Ich habe mich im Ton vergriffen
Meinen Gedanken nach dem Reinhören in den Monolog teilte ich mit anderen Followern. War Dubai eine Nummer zu groß? Soll das Tanztraining in Deutschland als Vorwand dienen, die Rückkehr einzuleiten, ohne sich ein Scheitern eingestehen zu müssen?
Ich schrieb einen Kommentar, in meiner typischen Berliner Schnauze: Der Kommentar ist gelöscht, er lautete in etwa so, dass die Entscheidung für Dubai doch etwas „blöd“ war. Ich muss anmerken, dass Ehemann Norman Berliner ist und trotz der vielen Jahre in Köln immer noch unseren Dialekt quatscht. Aber Tanja wurde von meinem Jargon so getriggert, dass sie mir nur eine Stunde später in meinen Nachrichten höchstselbst antwortete: Sie wäre ja offen, für Kritik, aber Leute, die ihr Handeln als „blöd“ bezeichnen, setzt sie sofort vor die Tür. Und das macht sie jetzt mit mir auch.
Bei uns in Berlin ist vieles „blöd“
Vielleicht hat Tanja ihren Norman umerzogen. Sie wird ja gern kritisiert, dass sie mit ihrem Mann nicht so nett umgeht. Zu meiner Rechtfertigung muss ich sagen, dass ich das gar nicht böse gemeint habe. Vieles ist bei uns in Berlin blöd. Der Zug, der zu spät kommt. Der Freund, der sein Portemonnaie verliert. Oder ein verbrannter Kuchen. „Bist du ein bisschen blöd oder was?“, fragen wir gern.
Die Steigerungsform ist „bekloppt“. Als sich in unserer Familie Nachwuchs ankündigte, rief der Uropa aus, ob die jungen Leute „bekloppt“ wären. Es war nicht das erste Kind. Er meinte es überhaupt abfällig. Es war ein Ausdruck seiner Überraschung. Seiner Freude. Die werdenden Eltern haben herzlich gelacht und ihn nicht vor die Tür gesetzt.
Sollte ein Influencer Follower sperren?
Influencer veranstalten ja gern Fragerunden. Was wollt Ihr von mir wissen? Ich fragte eine von Tanjas Kolleginnen, ob sie schon einmal Follower gesperrt hätte, weil sie sich im Ton vergriffen haben. Ich bekam eine persönliche Antwort. „Nein.“
Wer sein Privatleben zur Schau stellt, weil er sich entscheidet, sein Geld damit zu verdienen, der muss einiges aushalten. Wenn der Berliner sagt, dass etwas „blöd“ ist, spricht er seinen Jargon. Mit Hass, Häme oder Hetze hat das nichts zu tun.
Bei den Szewczenkos ist alles toll und richtig und wunderbar. Das funktioniert nicht. Nicht im wahren Leben und auch nicht in der Glitzerwelt der Influencer. Es gibt einige, die ihr Leben perfekt präsentieren. Doch das sind Profis, die Millionen Follower haben und ein Management, das Unterstützung leistet. Und dann gibt es andere, die einfach nur authentisch sind.
Wenn ich die Reels und Storys von drei Dubai-Influencern vergleiche, muss ich sagen: Die Szewczenkos sind weder professionell noch authentisch. Sie verkaufen ihren Followern ein Leben, das sie perfekt finden. Das ist in Ordnung. Doch andere müssen das Leben nicht perfekt finden. Und da fängt das Problem an: Wer keine Herzchen und Blümchen sendet, wird entfernt.
Wie ging es weiter?
Ich bin Privatperson und Freiberuflerin. In beiden Funktionen habe ich jeweils einen Account auf Instagram. Gefolgt bin ich den Szewczenkos mit meinem beruflichen Account. Warum? Weil ich den privaten noch nicht so lange habe. Somit habe ich den Zugang zu dem Leben der Szewczenkos behalten. Gefolgt bin ich der Familie nicht mehr. Und so hätte ich die Pointe fast verpasst.
Instagram ist schon ein interessantes Medium: Du wirst auf gesperrt, bekommst aber auf deinem anderen Account Einblendungen von eben dem Influencer, der dich nicht mehr haben wollte. Wie das funktioniert? Keine Ahnung. Die Neugier siegte ein letztes Mal: Ich habe mir das neueste Reel der Familie angeschaut.
Es ist der Gegenwind, der Drachen steigen lässt
Dieser weise Spruch hat mich getriggert. Ich sah mir die Story an, die zu dem Reel gehörte. Zusammengefasst lautete sie so: Norman hat in Dubai viele neue Erfahrungen gesammelt. Nun ist er in die Reihe der Immobilienmakler aufgestiegen, die international arbeiten. Davon gibt es ja viele: Sie sind in Shanghai tätig, in den USA oder irgendwo im Ausland. So ein tolles Angebot gab es nun auch für Norman. Die Familie ist dankbar, für die Chance. Sie begleitet Norman und verlässt Dubai für sechs Monate. Es geht … nach Bremen.
Gegenwind gab es reichlich. Das Nomadenleben wurde von den Followern kritisiert, das Chaos, und es kam wieder die Frage, ob Dubai denn der richtige Weg gewesen wäre. Weitere Fragen behandeln die Kälte, die Tanja doch nach eigenen Angaben nicht mag. Nun soll es mitten im Winter zurück nach Deutschland gehen.
Auf die Kommentare, ob das Chaos gut für die Kinder wäre, gab es die Antwort, dass es Menschen gibt, die „nie aus ihrem Dorf rauskommen“ und denen es nicht gelingt, „über den Tellerrand zu schauen“. Ihre Kinder sitzen ganz selbstverständlich im Flugzeug und haben kein Problem mit den vielen Ortswechseln. Ja, haben sie denn eine Wahl?
Wir alle machen Fehler
Ich gebe mal wieder, was in den Kommentaren zu lesen war: Das Hobby der Tochter leitete die Rückkehr nach Deutschland ein. Norman arbeitet dort seine Probezeit ab. Wenn er übernommen ist, kehrt die Familie wieder zurück. Bremen ist nicht der Ort, an dem die beste Tanzschule für die Tochter ihre Tore öffnet. Sondern es ist der Ort, an dem Norman die so dringend notwendige Arbeit gefunden hat.
Ob das alles so stimmt oder nicht, wissen die Follower dann im nächsten Sommer. Ich werde es nicht wissen, denn ich bin raus. Ich habe die Szewczenkos auf meinem privaten Account abgelehnt, sodass mir das Profil nicht mehr als Vorschlag angezeigt wird.
Wir alle machen Fehler im Leben. Gehen wir mal davon aus dass Dubai, so wie es eine Followerin geschrieben hat, eine Nummer zu groß war. Das kann man doch zugeben. Stattdessen wird das Scheitern als toller Wurf verkauft, der genauso geplant war.
Ich war ein großer Fan
Alles begann mit dem Eiskunstlauf. Ich war ein großer Fan des hübschen blonden Mädels mit dem Pferdeschwanz, das seine Sprünge und Pirouetten anders herum drehte und sich mit ihrem Strahlen in die Herzen der Zuschauer tanzte.
Ich war ein Fan von „Alles was zählt“, als Diana Sommer Briefe austrug, in ihren Julian verliebt war und ihre Runden auf dem Eis der Steinkamps drehte. Ich freute mich, sie in „Let’s Dance“ wiederzusehen. Und die Storys aus dem Haus in Köln waren erfrischend.
Wenn das kleine Leben nicht mehr ausreicht und der Größenwahn regiert, dann können sich Menschen verändern. Die Fakten lesen sich nicht gut: Die Schauspielkarriere scheiterte. Der Bestseller war eine Eintagsfliege, er steht auf Platz 180.000 auf Amazon. Die Karriere als „Content Creator“ stagniert, die Anzahl der Follower sinkt.
Wir sehen die Szewczenkos auf keinem roten Teppich, in keiner größeren Show. Sie liefern keinen unterhaltsamen Podcast, keine eigenen Produkte, keine lustigen Storys. Zuletzt gab es Lebensweisheiten und Rechtfertigungen.
Ich wünsche der Familie, dass der Wind ihren Drachen in die richtige Himmelsrichtung steuert. Vor allem der Kinder wegen. Mir hat die Gefolgschaft gezeigt, wie falsch diese Welt ist, die uns präsentiert wird.
Hinter die Fassade schauen
Wenn du Influencern folgst, solltest du immer die Realität im Auge haben. Du befindest dich in einer Welt, in der alles positiv präsentiert wird. Selbst ein Scheitern wird als Sieg verkauft, nicht nur bei den Szewczenkos. Lass dich unterhalten, sei Fan und sage deine Meinung. Doch verschicke nicht wahllos Herzchen und Umarmungen.
Schaue hinter die Fassade und hinterfrage, was dir geboten wird. Sonst läufst du Gefahr, dein eigenes Leben infrage zu stellen. Denn unser eigenes Scheitern, das jeder von uns irgendwann einmal erlebt, ist real. Es kann nicht hinter einer glitzernden Fassade verborgen werden. Vorbilder sollten wir im realen Leben suchen. Nicht in der Scheinwelt der Influencer. Wir bekommen nur ausgewählte Minuten präsentiert, die hübsch aufbereitet sind. Ja, es gibt Influencer, die authentisch sind. Doch die Wenigsten zeigen dir ihr wahres Leben.
Meinen Artikel möchte ich mit einer Frage beschließen, die ich unter dem Reel mit dem Drachen-Gegenwind-Spruch gelesen habe. Sie lautet wie folgt:
Wo sind denn die ganzen negativen Kommentare hin?