Zugverspätung mit dem Regio: Ein Erlebnisbericht
Eine Zugverspätung mit dem Regio ist eher Standard als eine Ausnahme. Allerdings können wir für Berlin und das Umland von guten Erfahrungen berichten: Im Dezember 2022 übernahm die ODEG den RE1, die Ost-West-Verbindung zwischen Magdeburg und Frankfurt (Oder), die durch Berlin führt. Wir sind mit unseren Fahrrädern von Magdeburg nach Dessau gefahren und wollten am Abend zurück in unsere brandenburgische Kleinstadt. Die Strecke Dessau – Potsdam – Berlin wird von der Deutschen Bahn bedient. Es erwartet dich ein Erfahrungsbericht der besonderen Güte!
Deutschlandticket und E-Bike: Eine Kombi, die wir gern nutzen
Wir nutzen das Deutschlandticket und fahren seit einigen Jahren E-Bike. Die Kombination Regio/Fahrrad ist bei uns im Berliner Raum recht unproblematisch, auch wenn es immer mal Diskussionen mit Mitreisenden gibt, die im weitestgehend leeren Zug das Fahrradabteil belegen. Wir fahren regelmäßig Regio und kennen uns mit der Auslastung aus. Unsere großen Hollandräder brauchen etwas Platz: Wenn wir diese kombinierten Ausflüge planen, dann zu einer Zeit, die nicht sehr hoch frequentiert ist.
Im Deutschlandticket ist Mitnahme von Fahrrädern nicht enthalten. Du bekommst aber ein Tagesticket zum Preis von 6,50 EUR. Es gilt bis drei Uhr am nächsten Morgen in ganz Deutschland. Diese Option hast du aber nur dann, wenn du ein Deutschlandticket vorweisen kannst.
Von Magdeburg nach Dessau auf dem Elberadweg
Konkret fuhren wir ein Stück auf dem Elberadweg. Das ist von Werder (Havel) aus gut zu organisieren: Die ODEG brachte uns am Vormittag nach Magdeburg. Das klappte prima, der Zug war pünktlich. Wir fuhren eine Stunde und begannen unsere Tour am Magdeburger Dom. Zu dessen Füßen schlängelt sich der Elberadweg bis nach Tschechien. Wir fuhren knapp 100 Kilometer nach Dessau. Von dort aus wollten wir am Abend mit dem Regio der Deutschen Bahn über Berlin zurück nach Hause fahren.
Eine Panne und andere Hürden
Unser Zeitplan geriet ein wenig durcheinander: Nach acht Kilometern brach meine Sattelstange. Wir mussten einen Umweg zu einem Fahrradladen einplanen. Dort baute mir ein freundlicher junger Mann mein neues gefedertes Exemplar gleich an. Das klappte prima, aber wir fanden den Elberadweg nicht wieder und landeten auf einem Feld. Das kostete Zeit.
Später verfuhren wir uns zwei weitere Male und die Kraft ließ nach. Wir werden älter: Künftig planen wir keine 100-Kilometer-Touren mehr ein. Trotz des miserablen Internets auf der Tour konnten wir die Bahn-App öffnen: Es fuhr um 23.26 Uhr ein letzter Zug nach Berlin. Um ein Uhr kam die letzte ODEG, die uns nach Werder (Havel) bringen würde. Für den Umstieg in Berlin-Wannsee hatten wir 25 Minuten Zeit. Es gibt nur einen Regio-Bahnsteig: Die Verbindung schien uns sicher zu sein. Wir gingen in Dessau essen und fuhren mit unseren Rädern rechtzeitig zum Bahnhof.
Fahrt im RE7 von Dessau nach Berlin:
Nach Berlin fuhr eine sogenannte Eule: So nennen wir die einstöckigen Züge, die kleinere Strecken befahren und häufig nur aus dem Triebwagen mit vier Abteilen bestehen. Der Abendzug hatte zwei Teile: Diese waren aneinander gekoppelt. Das Durchlaufen von vorn nach hinten war nicht möglich. Eine Tatsache, die später noch Bewandtnis haben wird.
Die freundliche Zugbegleiterin
Wir wählten den hinteren Wagen, stellten unsere Räder auf den dafür vorgesehenen Plätzen ab und sicherten sie mit Gurten. Jeder von uns hatte zwei gefüllte Fahrradtaschen an der Seite montiert. Mit uns stieg die Zugbegleiterin ein und blaffte uns ohne Gruß an. dass wir die Taschen abzunehmen hätten.
Der Zug war leer, es saßen zwei weitere Fahrgäste im Wagen, beide hatten kein Fahrrad dabei. Dass wir in einem vollen Fahrradabteil die Taschen abnehmen, um mehr Platz zu schaffen, versteht sich von selbst. An diesem Abend haben wir es nicht verstanden, zumal es an jeder Tür eine Abstellfläche für Räder gab. Die Zugbegleiterin ließ nicht mit sich reden. Es wäre Vorschrift, und wenn wir uns nicht daran halten, müssen wir aussteigen. Wir haben uns daran gehalten.
Pünktlich ging es los
Der Zug verließ den Bahnhof in Dessau pünktlich um 23.26 Uhr. Wir sollten Berlin-Wannsee um 00.36 Uhr erreichen. Um ein Uhr kam die ODEG, mit der wir nach Hause fahren wollten.
Der RE7 Dessau-Berlin hält alle paar Minuten auf kleinen Bahnhöfen. Das klappte in den ersten zehn Minuten ohne Vorkommnisse. Dann blieb der Zug auf offener Strecke stehen. Zunächst machten wir uns keine Gedanken, unser Puffer auf dem Bahnhof Wannsee war ausreichend. Doch mit jedem Bahnhof wuchs die Zeit. Wir schauten auf das Display und begannen zu rechnen. Es konnte knapp werden.
Die Verspätung wächst mit jedem Bahnhof
Die Zugbegleiterin wollte besonders lustig sein und sprach von einem „Liebesbrief, den der Lokführer an den Fahrdienstleiter geschrieben hätte.“ Es gab wohl eine Baustelle, an der wir auch vorbeifuhren. Doch die befand sich auf einem anderen Gleis.
Mit jedem Stopp an den kleinen Bahnhöfen wuchs die Verspätung des Zuges, obwohl er leer blieb und kaum jemand ein- oder aussteigen wollte. Wir ahnten, dass die ODEG ohne uns nach Hause fahren würde, und suchten nach Alternativen.
Wie kommen wir nach Hause?
Wenn wir in Potsdam aussteigen, müssten wir 19 Kilometer mit dem Rad nach Hause fahren. Dazu fühlten wir uns nach der langen und anstrengenden Tour nicht mehr in der Lage. Die Akkus waren nahezu leer. Die Tour führt durch ein dunkles Waldstück. Das war keine Alternative.
Wir hätten den Weg mit der Straßenbahn auf acht Kilometer verkürzen können. Das Waldstück wäre uns trotzdem geblieben. Die dritte Option: Eine Fahrt mit der S-Bahn oder der Straßenbahn zum Potsdamer Hauptbahnhof. Dort gibt es eine überwachte Fahrradgarage in einem Parkhaus. Wir könnten die Räder dort abstellen und mit dem Bus nach Hause fahren.
Nach einer Viertelstunde Recherche mit einem schneckenlahmen mobilen Internet – das Netz des Regios funktionierte natürlich auch nicht – war und klar: Wir kommen nicht mehr nach Hause. Wir würden Potsdam mit einer Stunde Verspätung erreichen. Um halb Zwei sind alle Linien zum Hauptbahnhof oder gar nach Werder (Havel) eingestellt. Nur am Wochenende fuhren die Busse etwas länger. Wir waren an einem Montag unterwegs.
Anspruch auf einen Taxigutschein
Bei einer Zugverspätung mit dem Regio hat der Fahrgast bei mehr als 20 Minuten Anspruch auf einen Taxigutschein. Das war das einzige Ergebnis unserer Googlesuche, das uns in dieser Nacht weiterhelfen konnte. Doch um einen solchen Gutschein zu erhalten, braucht es die Zugbegleiterin. Die Dame versteckte sich während der gesamten Fahrt im ersten Wagen.
Was nun? Sollte einer von uns am nächsten kleinen Bahnhof aussteigen und in den ersten Wagen wechseln? Wir entschieden uns dagegen: Wenn der Zug ausnahmsweise sofort weiterfährt, wäre die Katastrophe perfekt gewesen. Es gab einige Bahnhöfe, die niemand nutzen wollte. Wenn ein Fahrgast aussteigt, kann der Lokführer nicht wissen, dass er wieder einsteigen möchte.
Der freundliche Lokführer
Neben der Tür befand sich ein Sprechknopf. Den drückte ich. Es knackte, ich rief einige Male „hallo“, es antwortete niemand. Ich wollte zurück zu meinem Platz gehen, da knarzte es plötzlich aus den kleinen Löchern, dass ich schon was sagen müsse. Hatte ich doch.
Ich sagte mein Sprüchlein auf, dass wir aufgrund der mittlerweile 45-minütigen Verspätung nicht mehr nach Hause kämen, weil Züge, S-Bahnen, Straßenbahnen und Busse in Richtung Werder (Havel) ihren Betrieb eingestellt hatten. „Sie sprechen hier mit dem Lokführer“, blaffte es aus dem Lautsprecher.
Das ist mit egal, antwortete ich. Die Dame lässt sich im hinteren Wagen nicht blicken und ich denke gar nicht daran, aus dem Zug auszusteigen, blaffte ich jetzt zurück. Wir hatten trotz kleiner Hindernisse eine tolle Radtour gehabt, aber jetzt wandelte sich der erlebnisreiche Tag langsam in einen Alptraum. „Kriegen wa hin“, hörte ich und das Gespräch war beendet.
Sie haben sich Ihren Beruf selbst ausgesucht
Tatsächlich betrat die Zugbegleiterin am nächsten kleinen Bahnhof unseren Wagen und rief in die Runde der fünf Fahrgäste, wer denn Begehrlichkeiten hätte. Mein Geduldsfaden riss, als die Dame mir erklärte, dass sie heute auch zu spät nach Hause kommen würde. Offenbar WÜRDE sie nach Hause kommen. Wir nicht. Ich sagte ihr, dass sie sich ihren Beruf schließlich selbst ausgesucht hätte und bekam die Antwort, dass wir mit unseren Fahrrädern nach Hause fahren könnten.
Das müssen wir definitiv nicht, und das wusste die Dame ganz genau. Nach diesem etwas hitzigen Wortgefecht nahm sie plötzlich ihre Apparatur und stellte uns einen Taxigutschein aus. Sie hätte auch mal in Werder (Havel) gewohnt und wisse um das Problem. Warum eine Baustelle auf einem Nebengleis, zu mitternächtlicher Stunde, eine Verspätung von einer Stunde bei einer Fahrzeit von einer Stunde auslöst, wollte ich von ihr wissen. Eine Antwort bekam ich nicht.
Ankunft in Potsdam-Rehbrücke
Schließlich sorgten wir für eine weitere Verspätung, aber das spielte wohl keine Rolle mehr. Nachdem die Dame umständlich den Gutschein ausgedruckt hatte – sie wusste zunächst nicht, wie das geht – kündigte die Computerstimme den Bahnhof Rehbrücke an. Hier wollten wir aussteigen. Mit zwei Fahrrädern und vier abmontierten Fahrradtaschen.
Die Zugbegleiterin wies den Lokführer an, doch bitte zu warten, bis die Gäste mit den Fahrrädern den Zug verlassen hatten. Das dauerte einen Moment, wir mussten ja die Taschen erst montieren. Der Zug wartete. Ob die vorherigen Verspätungen auch derartige Gründe hatte, haben wir im zweiten Wagen nicht mitbekommen.
Fünf Kilometer bis zur Fahrradgarage am Potsdamer Hauptbahnhof
Fünf Kilometer sind es von Rehbrücke in der Gemeinde Nuthetal bis zum Potsdamer Hauptbahnhof. Wir merkten deutlich: Danach ist Schluss. Wir müssen den Taxigutschein in Anspruch nehmen, nach Hause schaffen wir es nicht mehr.
Wir kamen gut an, die nächtlichen Straßen waren leer. Die letzte Straßenbahn fuhr an uns vorbei zum Betriebshof. Bitte nicht einsteigen! Unsere Räder parkten wir in der Garage, beluden und mit den Fahrradtaschen und unseren Rucksäcken und riefen ein Taxi, das nach zehn Minuten Wartezeit um die Ecke geschossen kam.
Taxigutschein? – Den nehmen wir nicht
Der Fahrer war freundlich, er konnte leidlich Deutsch sprechen. Wir zeigten ihm den Taxigutschein. „Den nehmen wir nicht!“ sagte er prompt und schlug uns vor, die Fahrt selbst zu zahlen und den Gutschein dann einzureichen.
Der Bahnkunde muss nichts zahlen
Während der Wartezeit hatte ich mir den Gutschein angeschaut. Irgendwo rechneten wir damit, erst einmal in Vorleistung gehen zu müssen. Doch so ist es nicht: Das Taxiunternehmen rechnet den Gutschein direkt mit der Bahn ab. Wir hätten gar nicht die Möglichkeit gehabt, uns das Geld wiederzuholen.
Das erklärten wir dem freundlichen Taxifahrer, doch er ließ sich darauf nicht ein. Wenigstens wollte er seinen Kollegen fragen, ob er den Gutschein annimmt. Dann verabschiedete er sich und brauste davon.
Gestrandet in Potsdam
Wieder stellten wir uns die Frage: Was nun? Sollten wir unsere Räder wieder aus der Garage holen und die verbleibenden 14 Kilometer nach Hause fahren? Es war zwei Uhr in der Nacht. Sollten wir bis halb fünf auf den ersten Zug warten? Gab es jemanden in der Familie, der uns um diese Zeit abholen könnte?
Wir waren schon ein wenig verzweifelt. Doch dann geschah ein Wunder: Der verrückte Taxifahrer kam zurück! Er öffnete seinen Kofferraum, sprang aus dem Auto und rief: „Chef hat Einverständnis gegeben. Sie müssen Schein ausfüllen.“
Es eilt! Olaf Scholz wartet!
Wir waren erleichtert und stiegen beide hinten ein. Ich kramte schonmal ein Trinkgeld aus meiner Tasche. Irgendwie war der Fahrer schon ganz nett. Jetzt sprach er arabisch und er sprach von Olaf Scholz. Auf seinem Handy blitzte der Name auf. Herr Bundeskanzler wollte von seinem Lieblingsgriechen abgeholt werden. Welcher das ist, weiß so ziemlich jeder Potsdamer. Die Adresse stimmte.
Ob ich das hier erzählen darf, weiß ich gar nicht, aber inzwischen ist Kanzler Scholz ja wieder zu Hause. Offenbar wollte oder konnte er nicht so lange warten, denn unser Taxifahrer hatte es sehr eilig: In der 30er-Zone fuhr er 80 km/h. In dem Waldstück beschleunigte er auf 140 km/h. Die Hälfte ist dort gestattet. Wir sind in unserem Leben auch schonmal mit Bleifuß gefahren, aber das war ein mulmiges Gefühl.
Zugverspätung mit dem Regio: 2.30 Uhr waren wir zu Hause
Um halb drei Uhr morgens setzte uns das Taxi wohlbehalten zu Hause ab. Mein Mann half beim Ausfüllen des Gutscheins, unser Sohn sammelte die Fahrradtaschen aus dem Kofferraum ein. Er hatte schon auf uns gewartet.
Die abenteuerliche Radtour, die mit einer gebrochenen Sattelstange begann, nahm ein glückliches Ende. Sie wird in Erinnerung bleiben. Was die Deutsche Bahn betrifft, sind wir froh, unsere Hausstrecke seit 2022 mit der ODEG fahren zu dürften. Unser Zugabenteuer hat Fragen aufgeworfen
- Warum ist das Personal bei der Deutschen Bahn sehr unfreundlich?
- Wie kann ein Zug nach einer Stunde Fahrzeit eine Stunde Verspätung haben?
- Wieso lässt sich die Zugbegleiterin nicht freiwillig im zweiten Wagen blicken?
- Ist es notwendig, auf Vorschriften zu bestehen, wenn sie keinen Sinn ergeben?
- Warum nimmt ein Taxifahrer den Gutschein erst auf Nachfrage an?
Bevor die ODEG unseren RE1 übernahm, fuhr die Deutsche Bahn die Strecke mehr als 20 Jahre lang. Die Verspätungen waren massiver, das Personal oft ebenso unfreundlich, wie wir das bei unserer nächtlichen Rückfahrt erlebt haben. Beides sollte sich endlich mal ändern: Die massiven Zugverspätungen und die Höflichkeit der Zugbegleiter. Denn so ganz können wir auf die Deutsche Bahn leider nicht verzichten.
5 Tipps zum Taxigutschein bei Zugverpätungen mit dem Regio
- Bei Zugverspätungen hast du in einigen Fällen Anspruch auf einen Taxigutschein
- Lasse dir den Gutschein direkt im Zug ausstellen
- Du musst nichts bezahlen: Das Taxiunternehmen rechnet direkt mit der Deutschen Bahn ab
- Für Uber gilt der Gutschein nicht
- Das Trinkgeld kannst du auf den Gutschein aufschlagen: Der Gesamtwert darf 20 EUR nicht überschreiten